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Der vergebliche Rufer

Stefan Zweigs Anti-Kriegs-Drama »Jeremias«

  • Erik Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Sein Abschiedsbrief »An die Freunde in Fremdland«, verfasst unmittelbar nach Kriegsbeginn im September 1914, in dem er sich von ihnen lossagte, um dem Vaterland zu folgen, hing Stefan Zweig noch geraume Zeit an wie nationalpatriotischer Ballast. Auch Zweig wurde zunächst von der Dynamik der anfänglichen Kriegseuphorie erfasst und fand erst im Laufe des Jahres 1915 zu seiner pazifistischen Grundhaltung - offensichtlich auch ausgelöst durch die Beschäftigung mit Lew Tolstoi. Zweigs Anti-Kriegs-Drama »Jeremias«, das er Anfang 1916 fertigstellte, trägt ohne Zweifel dessen radikal-religiöse Handschrift. Ein Auferstehungsdrama, das fortan Zweigs ablehnende Haltung zum Krieg bestimmen sollte.

Neben den Figuren des Erasmus und des Castellio ist ihm Jeremias am meisten ans Herz gewachsen. Zweig sah sich selbst als vergeblicher Warner, als Rufer, der kein Gehör findet. Wie Jeremias hätte auch Zweig am Ende den Menschen bei ihrer Erlösung geholfen. Doch dazu fehlte ihm die Kraft. Er konnte sich nur selbst erlösen.

Am Anfang stand ein Traum, ein Albtraum der Zerstörung und Verwüstung Jerusalems. Jeremias, dem dieser Traum widerfuhr, ist zum Propheten erweckt worden. Es treibt ihn hinaus nach Israel, diesen Traum zu verkünden, um das drohende Unheil abzuwenden. Doch Jeremias’ warnende Worte werden nicht erhört. Der König und seine Krieger rüsten unablässig zum Krieg und wissen das Volk hinter sich. »Wehe … wehe … wenn das Volk jubelt, ist Unheil im Werke«, ahnt Jeremias, denn nur wenige aus dem verblendeten Volk stellen den Krieg tatsächlich in Frage.

Einer von ihnen jedoch, ausgerechnet ein Krieger, zweifelt ernsthaft: »Warum muß ich sie hassen, wenn mein Herz nicht weiß um diesen Haß?« - ein Satz, mitten aus dem Herzen Zweigs gerissen, der sich an den Kriegsbeginn von 1914 erinnert sah. Doch schnell wird auch dieser Krieger von der unbarmherzigen Logik des Krieges erfasst. Jeremias, offenbar der einzige, der sich dieser Logik widersetzen will, dringt bis zu König Zedekia vor, um ihn noch umzustimmen: Es müsse »einer den Frieden beginnen, wie einer den Krieg«.

Doch Zedekia bleibt hart, die Eigendynamik der Kriegsvorbereitung ist bereits so weit fortgeschritten, dass ein Zurückweichen nicht mehr möglich scheint - selbst wenn Zedekia wollte: »Lieber sterben, als Gnade erbitten, lieber Vernichtung, denn diese Demut«. So setzt der verhängnisvolle Lauf der Geschichte ein, ein zäher Krieg, bei dem es keine Sieger, nur Verlierer zu geben scheint. Die Feinde Jerusalems belagern seit Monaten die Stadt, ohne sie einnehmen zu können, Jerusalems Lebensmittelvorräte werden knapp - eine klassische Patt-Situation, bei der auch der Gedanke an Friedensverhandlungen aufkommt. Zedekia wird von Feindesseite ein demütigendes Friedensangebot unterbreitet, das dieser aus religiösem Stolz jedoch ablehnt.

So erfüllt sich der Albtraum Jeremias’ auf brutale Weise: Jerusalem wird eingenommen und dem Erdboden gleichgemacht. Die wenigen Überlebenden harren als Flüchtlinge vor den Toren der Stadt und flehen nun um Frieden: Sie hätten diesen Krieg doch nicht gewollt! Das gleiche Volk, das vor einem Jahr noch kriegslüstern Jeremias’ Worte in den Wind geschlagen hat, bittet ihn jetzt um Errettung und ruft doch nur den Zorn des Propheten heraus: »Wehe, du Volk! Doppelzüngig ist deine Seele, und jeder Wind wendet deine Meinung! Ihr habt gehurt mit dem Kriege, nun traget seine Frucht!«.

Mehr noch: Nicht nur dem Volke zürnt er, auch Gott, der dies alles zugelassen hat, überzieht Jeremias mit seinem Fluch. Aber Gott vergibt dem Rasenden - Grundlage auch für Jeremias’ Umkehr: »In Liebe will ich umfassen, die ich im Zorne getreten, und die ich bespien mit meinem Fluche, will ich tränken mit meinen Tränen.« Was folgt, ist ein einziges Hosianna, die Erweckung des Volkes Jerusalems durch Jeremias, den Erlöser: ein religiöses Finale, eine Auferstehungsszenario im Tolstoischen Sinne.

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