Grüne stellen Recht auf billiges Fleisch infrage
Fraktion diskutiert Strategiepapier: Mindestpreise sollen gegen Dumpingschnitzel helfen / Ostendorff: »Für 2,99 Euro kann niemand ein Kotelett gewinnbringend produzieren«
Gehört Fleisch auf den Teller? Und wenn ja, wie viel und wie teuer darf es sein? Vor knapp drei Jahren verbrannten sich die Grünen bei der Debatte um die Fleischtöpfe der Nation unfreiwillig ihre Finger. Die Forderung der Partei nach einem »Veggie Day« in öffentlichen Kantinen brachte ihnen das Image einer »Verbotspartei« ein. Dabei ließe sich die Ökopartei rückblickend durchaus auch als ein Opfer einer gezielten Medienkampagne kurz vor der Bundestagswahl sehen. Unterstützung für einen »Veggie Day« forderten die Grünen nämlich bereits seit einem Parteitag im November 2010. Folgerichtig landete das Ziel im April 2013 schließlich auch im Bundeswahlprogramm: Mitnichten ging es dabei darum, der Bevölkerung das Fleischessen zu verbieten. Viel mehr wollte die Partei Aufklärung leisten, welche Folgen der Verzehr von jährlich durchschnittlich 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf für Gesundheit, Tiere und Umwelt hat. Allen voran die »Bild«-Zeitung konstruierte daraus die Schlagzeile: »Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!«
Der Schock über die heftige und vor allem emotional geführte Debatte ließ nicht nur den »Veggie Day« in der Versenkung verschwinden. Die Grünen wagten sich beim Kampf um die Teller kaum noch raus aus der Komfortzone ihrer tendenziell bewusst konsumierenden Stammwählerschaft, die auch bereit und in der finanziellen Lage ist, Bio zu kaufen.
Im Windschatten der Milchpreisdiskussion wagen die Grünen nun allerdings einen neuen Anlauf: »Keine Preisschlachten an der Fleischtheke«, fordert die Bundestagsfraktion in einem Strategiepapier, das bisher noch intern disktuiert wird und über welches die »Saarbrücker Zeitung« berichtet. Im Kern soll es darum gehen, immer neue Dumping-Angebote des Einzelhandels bei den Fleischpreisen zu unterbinden. Die Grünen schlagen deshalb vor, einen verbindlichen Mindestpreis für Fleisch einzuführen, um durch die Mehreinnahmen die Bedingungen der Tierhaltung zu verbessern.
Schon seit Jahren ist der Markt völlig übersättigt. Obwohl der Pro-Kopf-Verzehr, etwa beim Schweinefleisch, kontinuierlich zurückgeht, steigt die Zahl der geschlachteten Tiere. Inzwischen geht etwa die Hälfte des Fleisches in den Export. Doch auch hier sind der aggressiven Expansionsstrategie klare Grenzen gesetzt. Während der asiatische Markt noch vor wenigen Jahren aufgrund seines wachsenden Fleischverzehrs als Heil der Fleischbranche in der Ferne galt, nahm in Wachstumsstaaten wie China zuletzt nicht nur der Hunger nach westlichen Essgewohnheiten zu sondern auch die eigene Tierhaltung in zumeist riesigen Anlagen mit tausenden Tieren.
Abseits von tierrechtlichen und ökologischen Fragen ist das Geschäft mit Schweinefleisch oft mit roten Vorzeichen versehen. So zahlten im vergangenen Frühjahr Bauern für ein Ferkel im Schnitt etwa 50 Euro. Hinzu addieren sich Kosten für das Futter (70 Euro) und anteilig Wasser, Strom sowie sonstige Ausgaben. Alles in allem investiert der Betrieb etwa 130 Euro in ein Tier, schlachtreif bringt das Lebewesen allerdings nur 120 Euro ein. Unterm Strich bleibt also ein Minus, weshalb die Bauern versuchen, vor allem während der Grillsaison in den Sommermonaten doch noch ein lohnendes Geschäftsjahr abzuschließen.
»Für 2,99 Euro kann niemand ein Kotelett gewinnbringend produzieren, bei dem es dem Tier auch noch gut gegangen ist«, so Friedrich Ostendorff in der »Saarbrücker Zeitung«. Der Grünen-Agrarexperte entwickelte das Strategiepapier federführend mit. »Der Handel sagt selbst, dass 70 Prozent der Fleischmenge im Supermarkt verramscht wird und im Sonderangebot erhältlich ist«.
In der Partei stößt Ostendorff allerdings auf Gegenwind. Kaum war der Vorschlag an die Öffentlichkeit gelangt, ruderte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter in der »Passauer Neuen Presse« zurück. »Ich halte staatlich verordnete Mindestpreise nicht für den richtigen Weg«, hielt er seinem Kollegen Ostendorff entgegen. Zwar sei eine Debatte über Billigfleisch wichtig, doch es handelte sich beim dem Vorschlag für Mindestpreise lediglich um die Idee eines einzelnen Abgeordneten. Diese Ansage wirkt jedoch wie der Versuch der Parteispitze, bloß nicht den Anschein zu erwecken, die Grünen könnten mit einer neuerlichen Verbotsdebatte in Zusammenhang gebracht werden. Dabei drückt sich die Partei um die Frage, ob Fleisch überhaupt zur Grundversorgung gehört und ob schlechte Haltungsbedingungen mit dem Verweis auf den Zugang auch für Geringverdiener gerechtfertigt werden können.
Hofreiter plädierte Anfang Juni in der »Welt« deshalb unter anderem dafür, als Folge der gestiegenen Lebensmittelpreise auch den Hartz-IV-Regelsatz um 16 Euro auf 420 Euro monatlich zu erhöhen. Eine umweltfreundlichere Produktion von Lebensmitteln führe zwangsweise zu steigenden Preisen. Dabei stützen sich die Grünen auf einen Rechnung des Wissenschaftlichen Beirates des Landwirtschaftsministeriums, wonach bereits eine Erhöhung der Lebensmittelpreise um drei bis sechs Prozent zu »erheblichen Verbesserungen« in der Landwirtschaft führen könnten. Dass die geforderte Anhebung des Regelsatzes kaum für eine vollständige Umstellung auf Bio reichen würde, ist allerdings auch Hofreiter bewusst. Viel mehr ginge es um einen längerfristige Entwicklung. Diese schwebt auch Ostendorff vor. Die Ziele seines Strategiepapiers beziehen sich auf einen Zeitraum von 20 Jahren. Viel Zeit, um eine Debatte ohne neuen Shitstorm zu führen.
Andere Grünen-Politiker gehen in der Debatte sogar noch einen Schritt weiter: Der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck hatte Mitte April auf einem Symposium der Fleischwirtschaft erklärt, die Tierhaltung habe aus ethischer Perspektive ein grundsätzliches Rechtfertigungsproblem. Durch die umfassend mögliche Versorgung mit pflanzlichen Lebensmitteln ist seiner Auffassung nach der Tierhaltung und der damit verbundenen Tötung für Nahrungsmittelzwecke eine wichtige Begründung abhandengekommen. Die Tierhaltung diene in der Gegenwart nicht mehr der Versorgung mit lebensnotwendiger Nahrung, so Habeck. Solle die Haltung fortbestehen, müsse eine neue gesellschaftliche Begründung gefunden werden. Die Grünen befinden sich erst am Anfang einer viel grundsätzlicheren Debatte.
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