Revolution in der sechsten Liga

Der britische Filmregisseur Ken Loach wird 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Fußball, was sonst jetzt?! Reden wir also über – Fischfang. »Die Möwen folgen dem Kutter, weil sie erwarten, dass Sardinen ins Meer geworfen werden.« Sagte Eric Cantona, stand auf und verließ eine der eigenwilligsten Pressekonferenzen der Fußballgeschichte. 1995. Zu sehen im Abspann von Ken Loachs Film »Looking for Eric«, in dem der Ex-Star von Manchester United sich selber spielt. Er war nach einem brutalen Foul im Spiel gegen Crystal Palace neun Monate gesperrt, und statt einer reuevollen Geste trat er mit trotziger Proletenphilosophie vor die Journalisten. Ein Charakter aus Rotzfrechheit und rüder Unzugänglichkeit – aber just ihn wählten die Fans zum wichtigsten United-Spieler des 20.

Jahrhunderts. Ein lehrreicher Einblick in die Psyche leidenschaftsberührbarer Populationen, die den Konfliktfluch zwischen Holy Fan und Hooligan begründeten. Zehn Jahre nach Cantonas Rücktritt 1997 geht Ken Loach mit dem einstigen Idol zu einem Fußballspiel: »Es wurden Eric-Lieder gesungen, einfach so, ohne dass jemand mitbekommen hätte, dass er da ist. Als sie ihn entdeckten, begannen erwachsene Männer zu weinen.«

»Looking for Eric« – ein typisch sozialdramatischer Film Loachs – erzählt märchenhaft vom Gossenschicksal eines Postboten, dem der Fußballstar als missionarischer Geist auf den rechten Weg hilft. In den Gesprächen zwischen Loser und Leitbild gibt auch Cantona Einblick in sein gejagtes Inneres: »Ich hatte immer Angst, dass es aufhört.« Ein Satz, der die Filme von Loach erklärt. Diese Furcht vor der sozialen Einsamkeit, dieser Horror vor der hinausstoßenden Zentrifugalkraft gesellschaftlicher Räderwerke.

Loach liebt Fußball. »Ich stellte fest, dass Samstagnachmittage einfach nicht dasselbe waren, wenn man nicht zum Fußball ging.« An diesem Sport fasziniert ihn die Freiheit – und deren Beschneidung. »Der Ball gehört keinem allein, die Interessen kreuzen einander.« Ja, es gibt diese Beschwörung von Freiheit (der Spieler, der losstürmt) und zugleich eine unaufhörliche Blamage des Freiheitsbewusstseins (durch den Spieler, der blöderweise im Weg steht). Alles Berechnete bleibt doch zerbrechlich. Wendungen platzen durch Zufall herein. Wie die Briefe in Schillers Dramen.

Dies sind die Orte des Regisseurs: wo die Geschichten ruppig bleiben. Wo die Geschlagensten auch die Gewieftesten sind. Wo sich Glück darin zeigt, dass der Erniedrigte noch Kraft für den Zorn hat. Zorn, um mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Ein Tisch für die Faust findet sich allemal. Loachs Orte. Mit der Handkamera hat der nordenglische Elektrikersohn sie aufgesucht, als er fürs Fernsehen arbeitete, nach dem Jurastudium in Oxford – ein Stromer in Häfen, ein Pilger auf Baustellen, ein Streuner in Bergwerken, ein Flaneur durch tapetengraue Küchen. Die Filme (»Kes«, »Riff-Raff«, »Sweet Sixteen«, »Land and Freedom«, »Just a Kiss«): Proletariat, Freiheitskampf, das harte Jahrhundert als Reißspur in allen Zweisamkeitswelten. Und: Da ist schwarzer Humor. Elende Arbeitslosigkeit, aber suffheiterste Selbstbehauptung. Kriminalität als Schule der List. Müdigkeit als familiäre Grundstimmung – von daher kommen die nervösen Zuckungen, die gereizten Gesichter, die Wucht der Schläge. Ein Universum der heiklen Verhältnisse. Plebejerkino gegen Popcorn.

Loach ist ein Kämpfer. Die jeweilige Erzählung ist ihm wichtiger als filigrane Ästhetik. Viele Filme des 1936 Geborenen entstanden, indem er ein fiktives Skizzendrehbuch lieferte; die Schauspieler (oft Laien) trieben das Angebot dieses Skripts ins vielstimmig Reale hinein. Streikende Bergarbeiter, sandinistische Revolutionäre, mexikanische Migranten, spanische Bürgerkrieger – Helden für Filme, die von der Zensur gerempelt wurden, am marktfixierten Denken der Verleiher zu scheitern drohten. Oder Parlamentsdebatten über Armut auslösten, wie etwa 1966, bei seinem halbdokumentarischen BBC-Film »Cathy Come Home« – ein junges hoffnungsvolles Paar beim Erdrutsch in die Obdachlosigkeit.

Mehrfach gehörte er zu den Siegern beim Festival in Cannes. Auch in diesem Jahr, mit »I, Daniel Blake«. Erzählt wird vom arbeitsunfähigen Herzkranken, der in die Walze der Wohlfahrtsbürokratie, in die Tücken des digitalen Zeitalters gerät. Loachs wiederholte Passionsgeschichte. Sein Bedürfnis: Nähe zu den Bedürftigen – um die Idee der Solidarität zu verteidigen. In einer Szene stürzt sich eine Hungrige hemmungslos auf eine Suppenküchenbüchse Bohnen – dann bricht sie zutiefst beschämt zusammen. Die Würde: eine Setzung gegen die Welt, immer aber auch ein verletzbarer Setzling, gepflanzt in Wüstenboden. Wechseln die Zeiten denn nie? Einer von Loachs Filmen heißt »Der Wind, der durch die Gerste weht«, der Titel folgt einer irischen Ballade. Wind in Feldern und Wiesen: Bewegung, Veränderung – als raune zwischen den tanzenden Halmen schon ein künftiger Sturm.

Fußball, was sonst im Moment?! Reden wir über Bath City FC. Sechste englische Liga. Loach will den Klub kaufen und in einen Mitgliederverein verwandeln. Eine Aktion gegen die böse Ironie des Kapitalismus: Wettbewerb tötet Wettbewerb, denn Wettbewerb führt zum kalten Monopol. Ken Loach, der Unermüdliche, der an diesem Freitag 80 wird: »Die Revolution fängt bei Bath City an.« Unmerklich wie der Wind, der durch die Gerste weht.

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