Bundeswehr über Syrien wird Fall für Karlsruhe
Linksfraktion will Militäreinsatz stoppen und ruft Bundesverfassungsgericht an
Selbst bei der konservativen »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« hatte man Bauchschmerzen, als der Bundestag im Dezember 2015 deutsche Soldaten in Richtung Syrien schickte. Noch nie sei ein Militäreinsatz »so lautlos, schnell und nahezu einhellig beschlossen« worden, wunderte sich das Blatt. Seitdem beteiligt sich die Bundeswehr an einem asymmetrischen Krieg gegen die Terrortruppe Islamischer Staat - und die Öffentlichkeit interessiert es scheinbar nicht. Dabei setzt die Luftwaffe dort Recce-Tornados zur Aufklärung ein und stellt ein Tankflugzeug zur Verfügung, das bislang 400 Kampfflieger befreundeter Kriegsmächte in der Luft auftankte. Die Linksfraktion im Bundestag ruft in der Sache nun das Bundesverfassungsgericht an. Bereits am 31. Mai hat die Fraktion in Karlsruhe einen entsprechenden Antrag gegen Bundesregierung und Bundestag eingereicht. Am Dienstag stellten die beiden Fraktionsvorsitzenden, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die Klage in Berlin vor. »Es kann nicht sein, dass Bundeswehr-Einsätze beschlossen werden, für die es keine grundgesetzliche Mandatierung gibt«, sagte Wagenknecht mit Blick auf die umstrittene Abstimmung.
Tatsächlich dreht sich der Antrag um die zentrale Frage, ob der Einsatz, wie die Bundesregierung behauptet, »im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit« stattfindet. In diesem Fall wäre er wohl durch Artikel 24 des Grundgesetzes gedeckt. Doch der Verwaltungsjurist Wolfgang Ewer, dessen Kanzlei die Linksfraktion vertritt, meldete am Dienstag ernste Zweifel an: Die Koalition der Willigen, die da in Syrien aktiv sei, habe »mit einem solchen System der kollektiven Sicherheit nichts zu tun«. Tatsächlich heißt es bei der Bundesregierung lapidar: »Deutschland unterstützt Frankreich«. Die Franzosen beriefen sich nach den islamistischen Terroranschlägen von Paris im November 2015 auf das Recht auf Selbstverteidigung. Doch das in Artikel 51 der UN-Charta festgeschriebene Recht auf Selbstverteidigung sei nicht Teil von einem System der kollektiven Sicherheit, »sondern dessen Ausnahme«, so Ewer. Zumal dieses Recht nur bei Angriffen durch Staaten eingeräumt werde, nicht aber bei Terrorattacken durch »private Akteure«.
Die Resolution 2249 des UN-Sicherheitsrates, die von der Bundesregierung ebenfalls zur Rechtfertigung herangezogen werde, sei »keine förmliche Ermächtigung«, mahnte Ewer. Tatsächlich hat der Sicherheitsrat den Einsatz nicht legitimiert. Auch die Berufung der Bundesregierung auf die Beistandspflicht unter EU-Mitgliedsstaaten sei nicht haltbar, schließlich habe es keinen entsprechenden Beschluss des EU-Rates gegeben. So sei die Europäische Union als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit »nicht aktiviert worden«, argumentierte Ewer, der viele Jahre als Präsident des Deutschen Anwaltsvereins fungierte. Er bezeichnete das Plazet des Bundestages zum Einsatz als »Paradigmenwechsel« von erheblicher »politischer Brisanz«, schließlich sei dies der erste Waffengang der Bundeswehr »ohne Einbindung in ein System kollektiver Sicherheit«.
Der ehemalige Bundesrichter und Ex-LINKEN-Abgeordnete Wolfgang Nescovic, der die Klage als Jurist begleitete, sagte am Dienstag, es sei »nicht sicher«, ob das Bundesverfassungsgericht den Antrag annehme. Laut Nescovic betrete man hier »juristisches Neuland«.
Ewer selbst rechnete am Dienstag nicht damit, dass Karlsruhe noch in dieser Legislatur eine Entscheidung in der Sache treffen wird.
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