Hannover will Kleingärtner verpflanzen

Für den Wohnungsbau sollen in der niedersächsischen Landeshauptstadt 800 Parzellen platt gemacht werden

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
813 Kleingärten in Hannover sollen planiert werden. So soll Platz für Wohnungen geschaffen werden. Die Pächter sind wütend, weil ihr Bezirksverband das Plattmachen billigt.

«Hier kann man sich im Grünen erholen, im eigenen Garten an der frischen Luft ausspannen oder spielen, beim Gärtnern Natur erleben und die Seele baumeln lassen.» So rühmt die Stadt Hannover im Internet ihre 20 000 Kleingärten. Dieselbe Stadt, die das Grün auf 813 jener privaten Freizeitparadiese durch Beton ersetzen will und Pächtern die Seele schwer macht, denn: Sie sollen bis etwa 2020 ihre Parzellen aufgeben, sollen Platz machen für Häuser mit 1000 Wohnungen, sollen in anderen Kolonien neu beginnen als Laubenpieper.

Sie haben nicht damit gerechnet, dass die Stadt - ihr gehören die Grundstücke - die kleinen Refugien irgendwann in Bauland umwandelt. Zumal es seit Kriegende so einen tiefen Einschnitt in den Kleingartenbestand wohl nicht mehr gegeben hat. Zwischen 1946 und 1956 schrumpfte die Zahl der Parzellen von 24 500 auf 21 000. Viele Hannoveraner mussten damals ihre Gärten für neue Verkehrswege opfern.

Nun sind es neue Wohnungen, für die Obstbäume gefällt, Beerenbüsche ausgerissen werden sollen. Jährlich wachse die Stadt um rund 5000 Einwohner, heißt es aus dem Rathaus, Hannover benötige Bauflächen. In welchen Laubenkolonien dafür die Planierraupen brummen werden, ist in einem Kleingartenkonzept festgeschrieben, das SPD und Grüne im Rat der Stadt gegen die Opposition durchgesetzt haben.

Müssen Kleingärten weichen, wenn eine Kommune mehr Wohnraum schaffen will? Nein, meint die LINKE, und rät zur «Nachverdichtung». Das heißt: Lücken in bereits bebauten Bereichen werden für neue Häuser genutzt, bestehende werden erhöht oder deren Dachgeschosse werden ausgebaut.

Statt solcher Lösung des Wohnungsproblems aber greift die rot-grün gelenkte Stadt nun zu den Kleingärten. Und der Bezirksverband der Laubenpieper macht mit, er hat dem Kleingartenkonzept zugestimmt. Sauer sind die Gartenfreunde vor allem auf den Präsidenten jenes Verbandes, Karl-Heinz Rädecker, der als Mitglied kommunaler Gremien stets ausgesprochen kämpferisch und wortgewaltig die Interessen der Mitglieder vertreten hatte.

Anfangs saß Rädecker für die SPD im Rat, dann verließ er die Genossen, gründete die konservative Wählergemeinschaft «Wir für Hannover», sprach für sie im Kommunalparlament. Auch als Mitgründer der nicht mehr existenten rechtspopulistischen «Partei Rechtsstaatlicher Offensive» (PRO) in Niedersachsen ist der jetzt 79-Jährige in Erinnerung. Hat er, so wie er einst die politischen Hemden wechselte, nun eine Wende vollzogen, was seinen Einsatz für die Kleingärten betrifft? Das fragen erboste Pächter, sprechen von Kungelei mit der Stadt.

Karl-Heinz Rädecker weist solche Vorwürfe zurück. «Wir kämpfen bis zum Letzten für unsere Mitglieder» verteidigt er den Bezirksverband im Gespräch mit «nd» und erinnert: Vor etlichen Jahren habe der damalige Umweltdezernent der Stadt, Hans Mönninghoff (Grüne), sogar 5000 Gärten platt machen wollen, um Fläche zu gewinnen. «Das haben wir strikt abgelehnt - mit Erfolg», sagt der Gärtnerpräsident. Die Aufgabe von 800 Gärten sei ein akzeptabler Kompromiss.

Wann und wie vielen Gartenfreunden gekündigt wird, «das steht noch in den Sternen», glaubt Rädecker. Zudem dürfe man nicht übersehen, dass die Stadt gute Entschädigungen für alles zahle, was auf den Parzellen zurückgelassen werden muss. Und es werden gute Ersatzgärten zur Verfügung gestellt, und zwar in der Nähe der vertrauten Kolonien, nicht irgendwo am anderen Ende der Stadt«, kündigt Rädecker an.

Aber es werden nie die Gärten sein, die in teils Jahrzehnte langer Arbeit aufgebaut worden sind. Das macht die Hannoveraner, die das geleistet haben und nun verpflanzt werden sollen, traurig und auch wütend.

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