Der IS hat der Türkei den Krieg erklärt

Der Anschlag in Istanbul wurzelt wesentlich in der veränderten Feindbildbestimmung Ankaras

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach den Selbstmordanschlägen auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen erfährt die Türkei Solidarität aus aller Welt. Über die türkische Außenpolitik und über den Krieg gegen die Kurden wird geschwiegen.

Die Attentäter fuhren mit Taxis zum internationalen Terminal des Atatürk-Flughafens in Istanbul. Am Haupteingang des Airports, wo eine Vorkontrolle für sämtliche Reisenden und ihr Gepäck stattfindet, kam es zur ersten Auseinandersetzung mit der Polizei. Darauf stürmten die Attentäter bis zur Passkontrolle, wo sie auf die dort Wartenden Handgranaten warfen und mit Kalaschnikow-Sturmgewehren um sich schossen. Mindestens zwei Attentäter sprengten sich.

Nach Angaben des Gouverneurs von Istanbul starben 41 Menschen, 239 wurden verletzt. Nach zunächst nicht bestätigten Meldungen türkischer Medien bestand die Gruppe aus sieben Männern, von denen drei starben, einer festgenommen wurde und drei entkamen.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, es gebe »Anzeichen« dafür, dass das Attentat vom Islamischen Staat ausgeführt wurde. Ein Sicherheitsexperte, den die Zeitung »Cumhuriyet« zitierte, äußerte die Ansicht, es habe sich um eine unabhängige türkische Gruppe gehandelt, die aber vom Islamischen Staat »inspiriert« sei.

Wenn sich die Urheberschaft des IS bestätigt, so wäre dies der dritte Anschlag der Dschihadisten in Istanbul in diesem Jahr. Im Januar sprengte sich ein Selbstmordattentäter in einer Berliner Touristengruppe am »Deutschen Brunnen« zwischen der Hagia Sophia und der Blauen Moschee. Im März sprengte sich ein weiterer Selbstmordattentäter nahe dem Taksim-Platz bei einer israelischen Touristengruppe.

Weitere Attentate des Islamischen Staates gab es im vergangenen Jahr in Diyarbakir, Suruc, Kayseri und vor allem auf einer Friedensdemonstration in Ankara. Allein bei diesem Anschlag starben 102 Menschen.

In dieser blutigen Serie ist ein klarer Wechsel erkennbar. Die ersten Attacken richteten sich gegen Anhänger der kurdischen beziehungsweise prokurdischen Opposition in der Türkei. Ab dem Jahreswechsel richteten sich die Anschläge gegen Touristen und in Kayseri gegen eine Hochburg der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP.

Im Herbst vergangenen Jahres wurde es immer offensichtlicher, dass der IS die von den USA unterstützten Kurden nicht würde besiegen können. Also fasste man in Ankara den Plan, das Gebiet, das heute noch die beiden kurdisch kontrollierten Territorien in Syrien trennt, von eigenen Verbündeten besetzen zu lassen. Bei diesen handelt es sich zum großen Teil um turkmenische Islamisten, die von der Türkei bewaffnet werden und über türkisches Gebiet geschleust wurden.

Da das Gebiet, welches sie besetzen sollten, von Kräften des IS kontrolliert wurde, konnte die Türkei international mit Wohlwollen rechnen. Diese Aktion sowie die Öffnung des Militärstützpunktes Incirlik auch für Einsätze gegen die Dschihad-Milizen trugen dem türkischen Staat die Feindschaft des IS ein.

Das Syrienabenteuer brachte allerdings der Türkei wenig ein, da ihre Verbündeten vor einem Monat eine schwere Niederlage gegen den IS erlitten, wovon just die Kurden profitieren und ihr Gebiet in Syrien noch ausweiten konnten. Dass sich Staatschef Recep Tayyip Erdoğan mit Russlands Präsident Wladimir Putin verständigt hat, hängt auch mit dieser Niederlage auf dem syrischen Schlachtfeld zusammen.

Nun zahlt die Türkei die Rechnung dafür, dass sich Erdogan ganz auf die Bekämpfung der kurdischen Opposition konzentriert und dabei den IS verharmlost hat. Weder die Besetzung des türkischen Konsulats in Mossul und die monatelange Geiselnahme des Personals, noch der schwerste Anschlag in der Geschichte der Türkei mit über 100 Toten in Ankara hatte als Warnung für die Regierung ausgereicht. Immer wurde Terrorismus mit der kurdischen Opposition gleichgesetzt und der IS mit der PKK in einen Topf geworfen. Noch notwendiger als Frieden mit Moskau und Israel wäre ein Friedensschluss im Inneren. Doch er wird kaum kommen. Der Krieg in den Kurdengebieten wird bis jetzt von Ankara mit unverminderter Härte fortgesetzt.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.