EU will über »Anti-Terrorpaket« Netzsperren einführen

LINKE: Maßnahmen können auch auf Zivilgesellschaft und radikale Linke angewendet werden

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch 2008 hatte die EU-Kommission die Einführung von Internetsperren als wenig effizient, eine Behinderung für Ermittlungsarbeit und problematisch für die Rechtsstaatlichkeit bezeichnet. Davon will man nun offenbar nichts mehr wissen. Der Innenausschuss des Europaparlaments hat am Dienstag auf dem Höhepunkt der Fußball-Europameisterschaft der Herren eine einheitliche »Anti-Terror-Richtlinie« beschlossen. Ein Teil des Gesetzespaktes sieht unter anderem nun doch vor, dass die Mitgliedsstaaten den Zugang zu »illegalen Inhalten, die zu terroristischen Delikten aufhetzen« blockieren können. Mit der Einführung der Netzsperren hatte sich die deutsche EU-Abgeordnete und zuständige Berichterstatterin Monika Hohlmeier (CSU) in den geheimen Verhandlungen durchgesetzt.

Die neuen »Anti-Terror«-Richtlinien lösen ein altes Papier aus dem Jahr 2002 ab. Der aktuelle Entwurf wurde direkt nach den islamistischen Anschlägen in Paris am 2. Dezember 2015 eingebracht und ist dementsprechend repressiv ausgefallen. Zugleich wird deutlich, dass eine schnelle Einführung des Gesetzeskatalogs nach nur sechs Monaten als wichtiger erachtet wurde, als die üblichen demokratischen Kontrollinstanzen zu durchlaufen und Beweise zu sammeln, dass die Instrumente eine konstruktive Wirkung erzielen. Wie der Blog Netzpolitik.org berichtet, verzichteten die zuständigen Parlamentarier beispielsweise in der Bearbeitung auf gängige Notwendigkeiten wie eine sogenannte Folgenabschätzung. In dem Verfahren gleicht man den Gesetzesentwurf mit empirischen Befunden ab und zeigt mögliche politische Alternativwege auf. Dies ist normalerweise für alle Gesetzesvorschläge notwendig.

Zugleich hat sich im Gegensatz zu anderen Gesetzesentwürfen, an denen mehrere parlamentarische Ausschüsse beteiligt sind, in diesem Fall nur eine kleine Gruppe von acht EU-Parlamentariern mit der Ausarbeitung des Textes hinter verschlossenen Türen beschäftigt. Diese Mitglieder des Ausschusses für »Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres « (LIBE-Ausschuss) hatten 438 Änderungsvorschläge eingebracht, zu denen unter anderem auch die Einführung von Netzsperren gehörten. Danach soll »Terror-Propaganda« entweder durch staatliche Zwangsanordnungen oder mittels »Selbstregulation« durch Provider oder Plattformbetreiber gelöscht werden. Sollte eine Entfernung nicht möglich sein, kann der Zugang zu den Inhalten blockiert werden.

Verschiedene Politiker und zivilgesellschaftliche Gruppen haben den Gesetzesentwurf sowie dessen intransparentes Zustandekommen stark kritisiert. 18 Bürgerrechtsorganisationen aus mehreren Ländern, darunter der deutsche »Chaos Computer Club«, das französische »La Quadrature du Net«, »European Digital Rights« und die US-amerikanische »Electronic Frontier Foundation« warnten in einem offenen Brief die EU-Abgeordneten vor Zensur, sollten die Netzsperren eingeführt werden.

Für Cornelia Ernst, netzpolitische Sprecherin der LINKEN und Mitglied im Innenausschuss, liegt das Ziel des »Anti-Terror-Katalogs« vor allem darin, ein »zusätzliches und besonders weitmaschiges Schleppnetz für persönliche Daten« auszuwerfen. Zudem schreibe der Text »Gesinnungsstraftaten« fest und verlasse damit das geltende Strafrecht, erklärte die Abgeordnete in einer Stellungnahme. »Diese Richtlinie ist ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg in Richtung eines Präventionsstaates, der die eigentliche Handlung nicht mehr voraussetzt, um eine Strafe auszusprechen.« Durch den Maßnahmenkatalog werden laut Ernst beispielsweise Auslandsreisen generell unter den Verdacht gestellt, »terroristischen Motiven« zu dienen.

Auch die schwammige Definition von »Terrorismus« und »radikalisierten Personen« stelle eine erhebliche Gefahr dar, erklärte die linke Abgeordnete: »Es gibt keine trennscharfen Definitionen dieser Begriffe, im Gegenteil können die vagen Formulierungen auf jedwedes regierungskritische Verhalten innerhalb und außerhalb der EU umgedeutet werden.« Die Maßnahmen des Kataloges – und damit auch die Netzsperren - könnten somit laut der Parlamentariern auf kritische Proteste der Zivilgesellschaft, die Occupy Bewegung, Umstürze von Diktaturen oder schlicht die »radikale Linke« angewendet werden. »Das widerspricht der EU-Grundrechtecharta, dem Recht auf Privatsphäre und dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten.«

Alexander Sander, Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft, kritisierte ebenfalls das Gesetzespaket: »Es ist schlicht verantwortungslos, massive Grundrechtseingriffe im Namen der Terrorbekämpfung durchzuwinken, ohne dass es irgendeinen Nachweis für die Wirksamkeit der Maßnahmen gibt.« Der EU-Abgeordnete der Grünen, Jan Philipp Albrecht, wies zudem daraufhin, dass die Regelungen zur Verhinderung von »terroristischen Inhalten« nicht zur Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden beitragen würden. Die Löschung der Seiten ist schlicht weitaus aufwendiger als eine Sperrung: »Da besteht natürlich die Gefahr, dass man nicht nur in den eigenen Verfahren schneller zu solchen Sperren greift und damit möglicherweise auch nicht-illegale Inhalte beschränkt.«

Im nächsten Schritt wird das »Anti-Terror«-Paket in nicht öffentlichen »Trialoggesprächen« zwischen dem EU-Innenausschuss, -Kommission und -Rat verhandelt. Erst im Anschluss darf sich das gesamte Plenum des Parlaments mit dem Vorhaben auseinandersetzen. Nach einer Einigung müssen die Mitgliedsstaaten die endgültige Fassung dann in nationales Recht umsetzen.

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