Freiberger Bergbau-Studenten proben den Notfall
In der Branche müssen immer weniger Ingenieure immer mehr Aufgaben übernehmen - so die Leitung der Grubenwehr
Langsam und gebückt tastet sich die kleine Gruppe durch den schmalen Gang - nur die Lampen auf dem Helm erhellen das Dunkel der Grube. Vorsichtig klopft Dana Czygan mit ihrem Hammer das Gestein ab. Lösen sich keine Brocken, geht die Gruppe weiter. Leise piepen die Messgeräte, dumpf dringen die Stimmen durch die Atemschutzmaske: »Eine verletzte Person gefunden«. Auch, wenn es sich in diesem Fall nur um eine Puppe handelt, die der Übungsleiter gut hinter dem Förderwagen versteckt hat, ist Konzentration zu spüren: Vorsichtig packen die fünf Retter den Dummy auf die Trage, messen den Puls und versuchen sich in Erster Hilfe.
150 Meter unter der Erde, im Forschungs- und Lehrbergwerk »Reiche Zeche« im sächsischen Freiberg, proben fünf Studenten unter realen Bedingungen für den Ernstfall: Gut anderthalb Stunden sind sie für ihren ersten Einsatz als Grubenwehr unterwegs - mit einer mehr als zehn Kilogramm schweren Ausrüstung. Mit Maske und Atemschutzgerät tasten sie sich durch dunkle und niedrige Gänge, klettern über glitschige und lose Steine. »Eine ganz schöne körperliche Herausforderung«, sagt die 26-jährige Dana Czygan, die in Freiberg Geologie studiert.
Eine Grubenwehr muss im Notfall unter Tage Menschen retten oder nach Unglücken - zum Beispiel Explosionen - die Grube sichern. Tino Zupp, Oberführer und Ausbilder bei der Wismut-Grubenwehr, ist zufrieden. Er lobt die Studenten für den guten Einsatz und ihren Teamgeist: »Ruhe, Besonnenheit und die Arbeit Hand in Hand, das ist das wichtigste bei solchen Einsätzen.«
Die fünf angehenden Bergleute und Geologen sind die ersten der TU Bergakademie Freiberg, die den Praxistest für den neu eingeführten Kurs »Studentische Grubenwehr« nach zwei Semestern Theorie gemeistert haben. »Unser Ziel ist es, unsere Absolventen für den späteren Beruf zu qualifizieren«, erklärt der Leiter des Forschungs- und Lehrbergwerks, Helmut Mischo. Denn in der deutschen Bergbauindustrie müssen immer weniger Ingenieure immer mehr Aufgaben übernehmen. Mit dem Wissen aus der Grubenwehr können die Absolventen später selbst Einsätze koordinieren oder im Katastrophenstab arbeiten - denn sie kennen die Anforderungen und Belastungen der Grubenmänner.
Zudem hofft Mischo, Nachwuchs für die eigene Grubenwehr zu gewinnen - er will in Freiberg eine zentrale Einsatzstelle etablieren. »Wir arbeiten an einer Neukonzeption des Grubenrettungswesens in Mitteldeutschland«, sagt der Professor für Rohstoffabbau. Bisher wird die Rettung unter Tage in Sachsen und Thüringen von Freiwilligen übernommen. 65 Mitglieder zählt die Grubenwehr, 50 Helfer werden von der Wismut an den Standorten Aue und Königstein gestellt, der Rest von Partnerunternehmen. Auch wenn es in den letzten Jahren keine Einsätze gab, halten sich die Helfer rund um die Uhr für Bergbauunternehmen oder Schaubergwerke bereit, sagt Oberführer Tino Zupp. Er fürchtet allerdings, dass es irgendwann in den nächsten Jahren mit dem Ende der Wismut auch keine Grubenwehr mehr geben wird.
»Aber da in Sachsen perspektivisch weiter Bergbau betrieben wird, brauchen wir eine Grubenwehr«, meint Zupp - und hofft auf den Nachwuchs aus Freiberg. Denn wenn die Rohstoffpreise wieder steigen, werden schnell neue Schächte geöffnet. »Und dann braucht man eine Grubenwehr mit ihrer speziellen Ausbildung.«
Studentische Grubenwehren gibt es bisher in Deutschland laut Helmut Mischo nicht. Die Idee stammt ursprünglich aus Nordamerika, wo es acht studentische Trupps an fünf Hochschulen gibt. Sie proben nicht nur regelmäßig den Ernstfall, sondern nehmen auch an internationalen Wettbewerben, den Mining Competitions, teil. Der nächste steht im Februar kommenden Jahres in Denver an. Mischo hat Pläne: »Unser Ziel ist es, unsere Trupps soweit auszubilden, dass wir daran teilnehmen können.« dpa/nd
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