Internationalität und Improvisation
Neutrinoforscher Christian Spiering über seine Arbeit in Dubna und am Baikalsee
Sie kamen als junger DDR-Wissenschaftler 1974 nach Dubna. Was war anders dort?
Für mich war erstmal neu, dass ich selbst einen großen Teilchendetektor mit aufbauen konnte, von der Experimentplanung bis hin zu Installation und Betrieb. Am Akademie-Institut in Zeuthen hatte ich nur Blasenkammeraufnahmen aus dem CERN in Genf ausgewertet, zu dem ich in den 70er Jahren nicht fahren konnte.
Der zweite Unterschied war die Arbeit in einem wirklich internationalen Team. Neben Russen und uns Deutschen haben in meiner Gruppe Georgier, Armenier, Ungarn, Tschechen und Polen gearbeitet. Das war in gewisser Weise ein Ausbruch aus der Enge der kleinen DDR.
Und natürlich die Sprache: In Dubna hat man Russisch gesprochen, die Lingua Franca war nicht Englisch, wie sonst in internationalen Instituten. Das war mit den Russischkenntnissen eines DDR-Abiturienten eine ziemliche Umstellung. Es hat anderthalb Jahre gedauert, ehe ich wirklich auf Englisch ganz verzichtet habe.
Wo lagen die Stärken und die Schwächen der sowjetischen Teilchenphysik?
Verglichen mit anderen sowjetischen Instituten war Dubna relativ offen und hatte eine Bindegliedfunktion zu westlichen Forschungseinrichtungen. Aber auch russische Kollegen konnten eben nur unter größeren Schwierigkeiten zu Kongressen und Partnereinrichtungen im Westen reisen. Das bremste den wissenschaftlichen Austausch. Das im Vergleich zum Westen schwächere technologische Hinterland führte zu Konkurrenznachteilen. So stand da eben ein Riesengerät wie das 10-GeV-Synchrophasotron, aber man konnte nicht die Top-Experimente realisieren wie am CERN. Was man angesichts dieser Beschränkungen natürlich gelernt hat: mit wenig viel zu erreichen, also improvisieren.
Sie arbeiten bis heute auch mit russischen Wissenschaftlern zusammen. Wie hat sich diese Zusammenarbeit seither entwickelt?
Unser Institut in Zeuthen hat sich ab 1988 am Baikal-Experiment beteiligt. Da ging es darum, in dem tiefen See eine Art Teleskop für die Neutrino-Astronomie aufzubauen. Uns ist es am Baikalsee als ersten gelungen, mit dieser Methode Neutrinos zu registrieren, aber Anfang der 90er Jahre wurde die Lage in Russland politisch wie ökonomisch ziemlich unkalkulierbar.
Wenn wir damals zum Baikalsee gefahren sind, mussten wir nicht nur unsere Kisten mit wissenschaftlichen Instrumenten vorausschicken. Der größte Teil der Kisten enthielt Lebensmittel und Medikamente, die man für eine Expedition braucht und in Russland einfach nicht bekam. Es war nicht vorherzusagen, wie das weitergehen würde. Deshalb haben wir uns als zweites Standbein ein ähnliches Experiment am Südpol gesucht.
Ausgestiegen sind wir beim Baikal-Experiment allerdings erst 2008, einfach weil der IceCube-Detektor am Südpol inzwischen um den Faktor 1000 empfindlicher war als der im Baikalsee.
Jetzt bin ich in gewisser Weise zurückgekehrt, weil nun auch die Russen einen größeren Detektor bauen, halb so groß wie IceCube. Dieses Projekt begleite ich als wissenschaftlicher Berater.
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