Drogen im Kirchturm

  • Uwe Kraus
  • Lesedauer: 2 Min.

Der pensionierte Tierarzt Dietmar Küchenmeister sammelte während seines Berufslebens Magen-, Gallen- und Nierensteine wie auch Föten, eine Trichinenfreiheitsbescheinigung von 1884 ebenso wie einen Impfstab und alte Instrumente, von denen selbst die Hersteller von heute nicht mehr so recht wissen, wozu sie dienten. Sein Museum befindet sich auf dem geschichtsträchtigen Gehöft der Familie im Vorharzort Badersleben. Hier wurde Professor Friedrich Heinrich Roloff geboren, der führende Tiermediziner der späten 1800er Jahre, dessen Trauerrede wiederum Rudolf Virchow hielt. Wenige Kilometer entfernt entdeckten Eckart Roloff und Karin Henke-Wendt bei der Recherche zu ihrem zweibändigen Reiseführer »Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker« die deutschlandweit einzige Apotheke in einer Kirche. Doch im Turmmuseum von St. Marien in 36 Meter Höhe kriegt der Patient für sein Rezept weder Schlaf- noch Schmerztabletten, keinen Baldrian, kein Zäpfchen.

Die beiden Einrichtungen zählen zu den bundesweit fast 170 Museen und Sammlungen, die sich mit Medizin und Pharmazie befassen. Das Autoren-Duo trägt dazu akribisch und unterhaltsam viel Lesenswertes zusammen, was weit über die Medizinhistorie hinaus bis in die Literatur und Weltgeschichte reicht. Es blendet die Ärzte, die im KZ Sachsenhausen zu Verbrechern wurden, nicht aus. Vom Schnarch-, Blinden- und Dialyse- über ein Brillenmuseum bis zur Alzheimer-Gedenkstätte und dem Rheumatikum kann jeder Interessierte spezielle museale Schätze heben. Man trifft auf Hahnemann und seine Homöopathie sowie auf den geheimnisvollen Seelenforscher und Dichter Justinus Kerner. Auch Heinrich Hoffmann, der Psychiater und Schöpfer des »Struwwelpeter« kommt vor, und nicht zuletzt der »Quacksalber« und Entertainer Doktor Eisenbart.

Die Nord-Süd-Teilung der Bände bringt mit sich, dass das medizinmuseumsreiche Nordrhein-Westfalen im Band I, Thüringen als einziges Neubundesland im zweiten erscheint. Roloff und Henke-Wendt belassen es nicht beim Hinweis, wo die Expositionen stehen, sondern geben Tipps zum Einkehren in der Region und den Öffnungszeiten. Ein großes Plus des Reiseführers, der viele fast versteckte, bisweilen auch eher kuriose Sammlungen zeigt, sind die Piktogramme, die einen schnellen Überblick über Parkplätze, Kinderangebote, Fotoerlaubnis, Behindertenfreundlichkeit oder Eintrittspreis vermitteln.

Die Bilder der beiden Bücher haben eher homöopathische Größe, weniger wäre da mehr gewesen, und lassen leider Erläuterungen vermissen. Auf den letzten Seiten finden sich Listen von Fachgebieten, Orten und Literatur nebst einem Blick über die (süd-)deutschen Grenzen auf die 35 Museen in Österreich, der Schweiz und Südtirol, was die nächste Reiseplanung erleichtert.

Eckart Roloff / Karin Henke-Wendt: Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker - Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie, Hirzel Verlag 2015; Zwei Bände, 257/266 S. je 29,90 €.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.