Das Böse, gehäckselt und geschreddert
Die Installation »Readywaste« des Berliner Künstlers Costantino Ciervo holt das Undarstellbare aus dem Dunkel ins Licht: Kindesmissbrauch
Wann ist die Grenze des Darstellbaren erreicht? Dann, wenn nur noch Abstraktion helfen kann, zu verarbeiten, was roh und unverfremdet nicht zu ertragen wäre. Kindesmissbrauch als Thema für die Kunst ist genau das, unzugänglich und verstörend. Der Berliner Künstler Costantino Ciervo hat es gewagt und in Zusammenarbeit mit dem Präventionsprojekt »Kein Täter werden« der Charité die Installation »Readywaste« im Pavillon an der Volksbühne konzipiert.
Ein Haufen zerhäckselter Stücke Plastik liegen dort auf der glatten, roten Plane in einem Haus aus Glas. Inmitten eine Messskala, Stand Montagmittag: 80 Zentimeter hoch ist der Berg aus CDs und DVDs. Er soll und wird wachsen. Darauf gespeichert teilweise mehrere Terabyte Kinderpornografisches Material. Patienten des Projekts »Dunkelfeld« haben die Datenträger als Kernelement ihrer Therapie an der Charité selbst zerstört. Jetzt liegen die Scherben, angestrahlt von Scheinwerfern, die tausendfach reflektieren, dort und niemand erkennt von außen, was für einen Inhalt sie einst transportierten. Dazu ein Video, das den Prozess der Zerstörung zeigt. »Die Aufgabe von Kunst ist es, das Gute zu verbreiten«, sagt Ciervo, bei der Vorstellung seiner Arbeit am Montag. »Das Böse oder Schlechte besteht darin, dem anderen einen Schaden zuzufügen, der nie wieder gut zu machen ist«, sagt er. »Bei dem Phänomen des Kindesmissbrauchs stehen wir einem solchen ›absoluten Bösen‹ gegenüber«.
Professor Klaus Baier, Leiter des Berliner Standortes von »Kein Täter werden« an der Charité kam im Frühjahr 2016 auf Ciervo zu und fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, sich dem Thema Missbrauchsabbildungen zu widmen. Ciervo konnte - und bildet mit der einen Tonne an Datenmaterial, die zusammenkam, nur einen Bruchteil dessen ab, was weltweit floriert. Schwer zu ertragen der Gedanke, dass es auf Servern auch nach dem Schreddern weiter existiert. Laut der englischen Organisation »Internet Watch Foundation« zeigten im Jahr 2015 knapp 68 000 URLs, mit der Webseiten lokalisiert werden, Abbildungen von Kindesmissbrauch.
Der Konsum von Bildern ist meist der erste Indikator, dass jemand sexuell auf Kinder reagiert. Etwa 70 Prozent der an der Charité erfassten Patienten haben sich schon einmal Darstellungen von Kindesmissbrauch im Netz angesehen, sagt Baier. Fast niemand (90 Prozent) wurde dabei von den Ermittlungsbehörden erkannt. Die jüngsten seiner Patienten sind 13 Jahre alt, der Durchschnitt ist 15. »Das Ausmaß der Bilddarstellungen ist den meisten nicht klar«, sagt Baier. Dabei steckt hinter jedem Bild ein realer Missbrauch.
Aufklärung und Sensibilisierung sollen Kernanliegen der Installation sein, die in der Spielzeitpause im Bücherpavillion zu sehen ist. Dafür hält sie sich vornehm zurück. Kein Plakat, kein Schriftzug, nur ein paar ausgelegte Flyer, die den glitzernden Haufen erklären, weisen auf das ausgestellte Tabuthema hin.
2.-25.8., Pavillon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte
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