Sperrgebiet an der Kleinen Ostsee
Camper und Angler fordern Freigabe des Knappensees in Sachsen - die Behörden bestehen auf Sperrung bis 2022
Anfang August wäre eigentlich Hochsaison an der Kleinen Ostsee. Die fünf Campingplätze wären brechend voll; an langen Stränden und auf Spielplätzen würde ausgelassenes Treiben herrschen; die Angler müssten auf die Inseln ausweichen, um ihre Ruhe zu haben. Wäre, würde, müsste. Ein halbes Jahrhundert lang war der Knappensee, der südlich von Hoyerswerda liegt und liebevoll mit dem großen Meer im Norden verglichen wird, ein Magnet für Urlauber bis nach Berlin und Chemnitz. Seit 2014 aber liegt er verwaist. Zehn Kilometer Zaun versperren den Zugang zum Ufer. Auf Park- und Zeltplätzen wuchert Gras, und die Minigolfanlage im »Sunshine Park« setzt langsam Moos an. Nur am gegenüber liegenden Ufer dröhnt der Motor einer Maschine. Werner Petrick, der Vorsitzende der Bürgerinitiative »Knappenseerebellen«, stöhnt: »Die zerrütteln den ganzen See.«
Die - das ist die Lausitzer und Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (LMBV), die im Auftrag von Bund und Ländern ehemalige Kohlegruben saniert - vorwiegend jene, die nach Ende der DDR stillgelegt wurden. Der Tagebau Werminghoff allerdings war schon vor dem Zweiten Weltkrieg ausgekohlt; ab 1945 lief er voll Wasser und dient seit 1953, nunmehr als Knappensee, auch dem Hochwasserschutz. Dann kamen die Camper, Angler und Wassersportler. »Stück für Stück haben sie hier etwas aufgebaut und den See erst zum Anziehungspunkt gemacht«, sagt Eberhard Mühle, Chef einer Bungalowsiedlung am anderen Seeufer - die freilich derzeit nicht bewohnt werden kann. Die 75 Bungalows, sagt Mühle, seien »komplett geräumt«.
Grund ist eine Entscheidung, die im Jahr 2010 fiel - ein Jahr nach dem Unglück vom Concordiasee bei Nachterstedt in Sachsen-Anhalt, wo Teile des Ufers abrutschten und drei Menschen in den Tod rissen. Auch jener See war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Braunkohlegrube. Bei der LMBV suchte man fieberhaft nach der Ursache - und machte das Grundwasser dafür verantwortlich, das nach Ende des Bergbaus wieder ansteigt und geschüttete Böschungen so instabil macht, dass kleinste Erschütterungen ausreichen, um sie wie Brei in die Tiefe fließen zu lassen. Zugleich suchte man nach anderen, womöglich gefährdeten Restlöchern. Der Knappensee geriet ins Blickfeld. 2014 wurde er schließlich gesperrt und ein Plan für die 100 Millionen Euro teure Sanierung vorgelegt, der vielen Anliegern Tränen in die Augen trieb: Bis 2022, volle acht Jahre lang, sollen die Wasserfläche und ufernahe Bereiche unzugänglich bleiben.
Die »Knappenseerebellen« geben eine andere Parole aus: »1000 Tage sind genug!«, steht auf Schildern am See. Diese Frist sei am 1. April 2017 abgelaufen; dann solle der See zumindest teilweise wieder zu nutzen sein: »Zaun weg, Hintern bewegen!«, heißt es in Richtung LMBV. Der forsche bis respektlose Ton zeigt, dass die »Rebellen« wenig von der Arbeit des Kohlesanierers halten. Sie sehen bereits die Grundthese für falsch an, wonach es am Knappensee aktuell einen Anstieg des Grundwassers gibt. Das sei nach 1945 passiert, sagen sie und zitieren Gutachten, wonach Rutschungen »nach dem ersten Durchgang« des Wassers »nicht mehr stattfinden können«. Zudem sei der Seeboden so flach, dass er gar nicht ins Fließen geraten könne. Es gebe »in der ganzen Lausitz keinen ungefährlicheren See«, sagt Mühle. Sachsens Oberbergamt (OBA) freilich, das die Sperrung unter Hinweis auf akute Gefahren verfügt hat, widerspricht. Am Ostufer des Sees und um ein benachbartes Restloch, den Graureihersee, sei der Anstieg noch nicht abgeschlossen, sagt Christof Voigt, der zuständige Abteilungsleiter; es fehlten fünf Meter. Der Bereich würde »ohne Sanierung instabil bleiben«.
Die Initiative hält freilich nicht nur die Begründung für die Sanierung für falsch, sondern auch den technologischen Ablauf. »Anfangs war von drei Jahren die Rede, dann von fünf, später von acht Jahren«, sagt Petrick - und verlangt, die Arbeiten in der anfangs genannten Frist abzuschließen. Dazu müssten viel mehr Maschinen für die sogenannte »Rütteldruckverdichtung« eingesetzt werden, bei der der Boden mittels vibrierender Lanzen verfestigt wird. Zudem sollten alle Arbeiten von der Seeseite ausgeführt werden. In manchen Bereichen könne man darauf ganz verzichten: Die Bungalows seiner Siedlung, sagt Mühle, stünden »auf Kartoffelacker und nicht auf einer Kippe«.
Groß sind die Chancen, die Sperrung nennenswert zu verkürzen, freilich nicht - auch wenn die Initiative ihren 28 Punkte langen Forderungskatalog kürzlich dem Wirtschaftsministerium Sachsens vortrug. Ab dem Jahr 2017 begännen an vier Bereichen des Sees die Verdichtungsarbeiten, sagt Voigt; derzeit würden die Aufträge europaweit ausgeschrieben. Wegen der starken Erschütterungen könnten sie aber nicht immer parallel ausgeführt werden - und dauerten deshalb bis 2019. Anschließend werde an Ufern und Böschungen gearbeitet, sagt die Behörde und stellt unmissverständlich klar: Vorher sei die »Nutzung des Sees ausgeschlossen«; die Forderung nach einer Freigabe vor 2022 sei »nicht realistisch«.
Womöglich dauert es aber sogar noch länger. Derzeit verhandeln der Bund und die Länder Brandenburg und Sachsen über die Finanzierung der Kohlesanierung und damit der LMBV. Dazu wurden seit dem Jahr 1992 bislang fünf Verwaltungsabkommen abgeschlossen und über zehn Milliarden Euro bereit gestellt. Die Gespräche über ein sechstes Abkommen gestalten sich schwierig; der Bund stellt sich quer und will sich womöglich gänzlich aus der Finanzierung dieser Altlastensanierung zurückziehen. Käme es dazu, könnten die Arbeiten am Knappensee ins Stocken geraten. Die zahlen der Bund und der Freistaat Sachsen je zur Hälfte. Eine alternative Finanzierung für den Fall, dass der Bund ab 2018 kein Geld mehr gibt, sei »uns nicht bekannt«, teilt das Oberbergamt mit. In dem Fall müsse sich Sachsen neu positionieren, »wodurch auf jeden Fall mit Verzögerungen der Sanierung zu rechnen ist«, sagt Voigt. Die pünktliche Umsetzung der Sanierungspläne hänge also »entscheidend« vom Zustandekommen eines erneuten und ausreichend dotierten Abkommens ab.
Für die »Rebellen« ist das ein Horrorszenario. »Man stelle sich vor, die hören hier einfach auf und lassen den Zaun stehen«, sagt Petrick. Zugleich fordert er Landespolitik, Behörde und Sanierer auf, die ungeklärte Frage der Finanzierung ab 2018 für eine »Denkpause« zu nutzen: »Man sollte überlegen, wie man es schafft, bis Ende 2017 fertig zu werden.«
Groß ist die Hoffnung auf ein Einlenken freilich nicht - auch wenn es im September oder Oktober in Lohsa am Knappensee ein erneutes Treffen mit allen Beteiligten geben soll. Parallel dazu wird freilich auch eine Verwaltungsklage vorangetrieben, die der »Anglerverein 57 Knappensee« wegen der Aussperrung vom Vereinsgelände eingereicht hat. In dem Verfahren, hofft Vereinschef Hans-Georg Ziehe, müssten Bergamt und LMBV endlich auch einmal konkrete Zahlen anführen, mit denen die vermeintliche Gefahr begründet wird. Bis jetzt jedenfalls herrschen am Ufer der »Kleinen Ostsee« Zweifel, Misstrauen - und Wut darüber, dass auch im Sommer 2016 an Badefreuden nicht zu denken ist.
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