... und raus bist du

Im Kino: »Die Stadt als Beute« von Andreas Wilcke

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Fronten sind klar in diesem Film: Berlin ist sexy, Berlin zieht Menschen an. Berlin ist aber auch Kapitalanlage, Zweitwohnort, Spielwiese, sprich: Baufläche für Besserverdienende. Wer schon immer hier wohnte, zieht den Kürzeren, wenn wieder ein Investor Geld »in die Hand nimmt« und, allein oder im Rudel, ein ganzes Viertel verändert. Wer Anzug trägt oder Kaufabsichten kundtut, wer sanieren will oder bauen, wer im Auftrag Dritter – und womöglich grenzübergreifend – im Berliner Kiez auf der Suche ist nach vielversprechenden Investitionsmöglichkeiten, der macht sich verdächtig. Wer leben kann, aber nicht prassen, wer wenig hat, aber gern dort wohnen bleiben möchte, wo er immer schon wohnte, für den macht Andreas Wilcke seinen Film. Es ist ein Teufelskreis, aus dem nur die öffentliche Hand der Stadt heraushelfen könnte. Und die öffentliche Hand ist in Berlin ziemlich blank.

Berlin ist angesagt, weil es so lebendig ist – und immer noch relativ billig. Das Gefälle zu den Preisen in anderen europäischen Hauptstädten macht die Stadt für Investoren aus dem In- und Ausland erst so attraktiv: In Zeiten, in denen viele ihr Geld lieber in Immobilien anlegen als in krisenanfälligeren Finanzinstrumenten, sind in Berlin noch Wertsteigerungen möglich, die jedem Anleger die Freudentränen in die Augen treiben. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen boomt und wird in den Jahren, in denen Wilcke filmte (von 2010 bis 2015) selbst in Milieuschutzgebieten noch von keinem Genehmigungsvorbehalt unterbunden, energetische Sanierung wird zum Anlass, gleich komplett zu modernisieren – und die Altmieter landen am Stadtrand.

Wilcke greift die eklatantesten (und stadtbekannten) Fälle gewaltsamer Entmietung auf, die kuriose Gesetzeslücke im Nachbarschaftsrecht, nach der ein Eigentümer seinen Mietern die Fenster zumauern darf, wenn der Neubau ihm ebenso gehört wie der Altbau, den er zumauert. Er zeigt den öffentlichen Unmut, wenn wieder ein Neubauprojekt ein ganzes Viertel in Richtung »gehobene Mietlage« zu kippen droht. Andererseits: In welcher anderen Stadt könnte man sich überhaupt vorstellen, dass sich die Anwohner – es geht um das Bauprojekt Fanny-Zobel-Straße – mit großer Wut darüber beschweren, dass ihre Gegend an ihnen vorbei bereits zur mittleren Wohnlage geworden sei, die gehobene deshalb nun unbedingt verhindert werden müsse?

Gentrifizierung, Luxussanierung und der Verlust der sozialen Durchmischung sind die Eckpfeiler des Films, und Wilcke findet die passenden Zitate, um den herrschenden Sozialdarwinismus zu illustrieren. Ob ein Hartz-IV-Empfänger wirklich am Potsdamer Platz wohnen müsse, wird da rhetorisch (und mit wirklich ausgesprochen unfeinem Grinsen) gefragt, während ein anderer Anzugträger sich ganz ungeniert (wenn auch in ungleich privaterem Rahmen) dagegen verwahrt, die Entwicklung einer ganzen Stadt – und einer Hauptstadt noch dazu, als ob das irgendeinen Unterschied machte – »von ihren schwächsten Gliedern« abhängig zu machen. Der Zugang, den Wilcke zu Menschen fand, die solche Dinge sagen, ist wiederum erstaunlich. Denn die meisten solcher Statements fallen nicht bei öffentlichen Veranstaltungen, sondern im Gespräch unter vier bis zehn Augen.

Dass nicht immer alles gleich Spekulation ist und Raubtierkapitalismus, was zu steigenden Mietpreisen führt, dass Abriss, Neubau und vor allem Sanierung im Einzelfall nicht nur zu Gewinnoptimierung, sondern auch zu einer teils zu begrüßenden Steigerung der Wohn- und Lebensqualität führen, bleibt im Film jedoch weitgehend außen vor. Und was Wilcke an Bildern von Reihenhaussiedlungen der durchaus gehobenen Klasse anbietet, spricht eigentlich eine andere Sprache. Die befinden sich zudem eher nicht in Innenstadtlagen und haben im Kontext des Films daher wenig verloren. Und ist es nicht auch nachvollziehbar, dass jemand, der sein Geld in Wohneigentum anlegt, damit auch Geld verdienen will?

In einer Stadt, die gerade so viel verpasste Entwicklung auf einmal nachholt, lässt sich ein Recht auf Wohnung oder ein Bestandsrecht am angestammten Ort eben nur bedingt geltend machen – wenn der politische Wille nicht da ist, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, oder die Mittel dazu schlicht und einfach fehlen. Warum sie fehlen, Stichwort: Bankenskandal, ist dann wieder eine andere Sache. Und natürlich auch wieder eine Frage des politischen Willens.

Berlin-Premiere mit Regisseur am 1.9., 20 Uhr, im Freiluftkino Kreuzberg, ab 8.9. regulär in 17 Berliner Kinos

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