Linke und Technik

Smarte Worte V: Zwischen Utopie der produktivistischen Modernisierung und Weltuntergangsstimmung - über ein schwieriges Verhältnis im Wandel

  • Lesedauer: 5 Min.

Das Verhältnis von Linken zur Technik schwankt seit 150 Jahren zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite steht ein technologisch grundierter Fortschrittsoptimismus, der in Lenins Parole vom Kommunismus seinen Ausdruck findet, der »Sowjetmacht plus Elektrifizierung« sei. Den anderen Pol illustriert eine Anekdote aus der Geschichte des Kommunistischen Bundes, in dem anfangs angeblich vor dem Aufkommen von Computern gewarnt wurde - die entsprechenden Flugblätter wurden wahrscheinlich auf mechanischen Schreibmaschinen getippt.

Im Technikoptimismus der frühen Arbeiterbewegung und des realsozialistischen Lagers findet eine Utopie der produktivistischen Modernisierung ihren Niederschlag, in der Technik, Wissenschaft und Innovation vor allem als Mittel zur Steigerung der Produktivität betrachtet wurden, die so Früchte hervorbringt, deren gerechte Verteilung zum Wohle aller nur im Sozialismus möglich sei. Von diesem Denken befördert erhielten technische Innovationen den Charakter von Fortschrittsmotoren - von der chemischen Industrie über die Atomkraft und den Kybernetik-Hype Mitte des 20. Jahrhunderts bis zur elektronischen Datenverarbeitung und zur Raumfahrt.

Einerseits wurde Technik hier als »neutrale« Angelegenheit betrachtet, die in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Natur ihre Anwendung findet und auf ihren Charakter als Produktivkraft reduziert wurde - es andererseits aber in dieser Perspektive darauf ankam, unter welchen Produktionsverhältnissen die Technik zum Einsatz kommt. Eine zugespitzte Form dieses Denkens war die Behauptung westdeutscher Parteikommunisten, die Atomkraft sei nur im Realsozialismus eine gute und sichere Angelegenheit. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 sagte das aber auch in der DKP niemand mehr.

Längst hatte sich zu diesem Zeitpunkt eine vor allem ökologische inspirierte Technikkritik ausgebreitet. Vor allem gegen die Gefahren der Atomkraft, der Gentechnologie und generell die Folgen kapitalistischer Reichtumsproduktion für Umwelt und Mensch organisierten sich immer mehr Menschen in Bewegungen. Intellektuell begleitet wurde diese zweite Phase des Verhältnisses von Linken und Technik von einer Kritik, welche kulturpessimistische, risikowissenschaftliche und philosophische Momente verband - etwa in der Zurückweisung eines Wissenschafts- und Technikbegriffes, der beides auf eine Rolle als Produktivkraft reduziert und von einem Denken der Sachgesetzlichkeit und instrumentellen Vernunft geprägt war. Die Kritik rückte immanente Eigenschaften von Technik und den Herrschaftscharakter von Technologie ins Blickfeld - schlug aber nicht selten in ein technikdeterministisches Weltbild um, das zu apokalyptischen Prognosen einlud und die Befreiungspotenziale von Technik komplett unterschlug.

Ob es solche überhaupt gibt, wurde in der linken Debatte schon früher grundlegend von Raniero Panzieri infrage gestellt - der operaistische PCI-Politiker hatte sich 1961 »Über die kapitalistische Anwendung der Maschinerie im Spätkapitalismus« Gedanken gemacht und hatte die damals in der realsozialistischen und parteikommunistischen Bewegung dominante Tradition der an sich guten, in Bezug auf die Klassenverhältnisse neutralen Technologieentwicklung zurückgewiesen. Technologische Rationalität, untersucht am Maschineneinsatz in Fabriken, wurde bei Panzieri als Form kapitalistischer Herrschaft, unauflöslich mit der Profitrationalität des Kapitals verknüpft, angesehen und der Technikeinsatz als unmittelbares Instrument der Klassenherrschaft kritisiert.

Karl Marx hatte in den »Grundrissen« die Maschinerie als »die adäquateste Form des Kapitals überhaupt« bezeichnet und in der Dynamik ihres Einsatzes zugleich etwas gesehen, das den Kapitalismus unterwandert - nach dem Motto: »Je fortschrittlicher der Kapitalismus wird, umso weniger wird er kapitalistisch« (Christian Lotz). Theodor W. Adorno hatte den dahinter stehenden Technikbegriff von Marx als unklar kritisiert, er sei »von Saint-Simon übernommen, ohne dass dieser seine Stellung zu den Produktionsverhältnissen durchdacht hätte«.

Spätestens seit den 1990er Jahren kann von einer dritten Phase des Verhältnisses von Linken und Technik gesprochen werden - abermals von Ambivalenz gekennzeichnet: Während große Hoffnungen in die demokratischen, organisatorischen und kritischen Potenziale zum Beispiel des Internet entstanden, wurde zugleich der herrschaftskonforme Charakter kritisiert und vor allem von den Möglichkeiten umfassender Kontrolle gewarnt. In der Figur des Hackers wurden einerseits ethische Aspekte von Technik verkörpert - der anonyme Kämpfer für das Gute. In der Figur des Internetunternehmers drückt sich hingegen die janusköpfige Erschaffung der Welt per Technik aus - wenn man so will die Ablösung von Heideggers »Ingenieur«, in dem der Mensch zum Ebenbild Gottes als wahrer »Schöpfer« wird.

Linke Kritik begreift Technik und Technologien heute nicht nur als einen Gegenstand von Risikofolgenabschätzung, sondern unterstreicht ihre sozialen und gesellschaftspolitischen Folgen sowie den ihnen innewohnenden Herrschaftscharakter. Sie ist verknüpft mit der Kritik am Wachstumsparadigma des Kapitalismus und richtet ihren Blick auf die globale Ungleichheit der Möglichkeiten, Technik zum Wohle des Menschen einzusetzen - etwa im Gesundheitsbereich. Flankiert wird dies von einer Kritik, welche die Auswirkungen von technologischer Entwicklung durch Automatisierung und Digitalisierung auf Arbeitswelt, soziale Beziehungen und Persönlichkeit betont. Auch der kommodifizierende Charakter von »neuen Technologien« steht im Blickfeld linker Technikkritik.

Der linke Technikoptimismus ist deshalb aber nicht verschwunden. Zugespitzt wird das etwa im Akzelerationismus. Dieser geht davon aus, dass der Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln schneller zu schlagen ist, wenn die Entwicklung von Technik beschleunigt wird. Neben dieser »Mischung aus Techno, Terminator und Marx« finden sich auch emanzipatorisch aufgeladene Cyborg-Theorien oder Versuche, zu einer Synthese aus Sozialismus und Transhumanismus zu finden, im Lager des linken Technikoptimismus. (tos)

Zum Weiterlesen:

Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, 1983.
Raniero Panzieri: Über die kapitalistische Anwendung der Maschinerie im Spätkapitalismus, in: Quaderni Rossi, Nr. 1, 1961
Linke und Technikkritik im 21. Jahrhundert, in: Gen-ethisches Netzwerk, Ausgabe 193 (2009)
Donna Haraway: Manifesto for Cyborgs
Nick Srnicek und Alex Williams: Beschleunigungsmanifest für eine akzelerationistische Politik

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