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Rund um den Rubikwürfel

Im Kino: »Snowden« von Oliver Stone

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.

Was es war, das Edward Snowden im Jahr 2013 dazu bewegte, seine Daten an Journalisten zu übergeben, ist ja im Grunde bekannt - sofern man nicht dem deutschen Geheimdienstboss, »Bild« oder dem neo-neokonservativen Schreiber Alexander Nabert (Vice, Jungle World, Twitter) die Rufmordstory vom Putin-Maulwurf abkauft. Wie aber ist es Snowden ganz praktisch gelungen, eine noch so winzige Speicherkarte aus jenem Hochsicherheitsdatenzentrum der NSA auf Hawaii zu schmuggeln, in dem er zuletzt gearbeitet hatte?

Oliver Stones Biopic »Snowden« bietet eine Antwort: Er nestelt ein Plättchen an dem Rubik-Zauberwürfel ab, mit dem er zu spielen pflegt und der auch später sein Erkennungszeichen ist, als er in Hongkong auf die Journalisten Laura Poitras und Glenn Greenwald trifft. Er versteckt die Speicherkarte darunter - und wirft ihn vor der Ausgangskontrolle scherzend einem Sicherheitsbeamten zu. Der dreht ein wenig daran herum und gibt das scheinbar harmlose Spielzeug nach der somit vermiedenen Schleuse lachend zurück.

War es so, war es anders, war es ähnlich? Snowden selbst hat die Episode rund um den Rubikwürfel, die bereits im Filmtrailer zu sehen war, mit einer Twittermeldung kommentiert: Nun werde das Denkspielzeug wohl in US-Regierungsgebäuden verboten. Das ist keine Bestätigung und auch kein Dementi. Stones Film ist zwar, das darf man annehmen, im Sinne des Exilanten; dieser hat am Ende selbst einen kleinen Auftritt. Dennoch werden - und sollen wohl auch - viele Details irgendwo zwischen Fiktion und Realität verharren.

Da ist etwa die Episode vom Halbmitwisser im Büro: Im Film fällt dem nervösen Snowden seine Speicherkarte unmittelbar nach dem Kopieren auf den Boden, als plötzlich ein Vorgesetzter den Raum betritt. Doch ein Kollege stellt sich mit dem Fuß darauf und fragt auch nicht nach, als Snowden das Kärtchen dann einsteckt. Oder die Geschichte von der verunglückten Online-Operation gegen Syrien: Im Film legen NSA-Hacker beim Datensammeln versehentlich einen dortigen Internetknoten lahm. Die dadurch entstehende Hektik nutzt Snowden für seine Kopieraktion.

Oliver Stone stand bei diesem Projekt vor einem nicht unerheblichen Problem - wie lässt sich eine Geschichte lohnend und ja: auch spannend erzählen, die diejenigen, die den Film sehen werden, noch so frisch im Gedächtnis haben? Zumal die Teile der Geschichte, die sich für einen Thrillerplot spontan anbieten, bereits durch Poitras’ aus authentischem Material bestehenden Dokumentarfilm »Citizenfour« quasi unüberbietbar abgegrast sind - nämlich Snowdens Versteckspiel in und seine Flucht aus Hongkong?

»Vergesst James Bond, ›Snowden‹ kann auch Action«, kolportierte das Süddeutsche-Jugendmagazin »jetzt« vor einigen Monaten anlässlich des Trailers und der auch in München stattgefundenen Dreharbeiten. Doch genau so ist »Snowden« nicht geworden. Die Handlung spielt weitgehend zwischen 2004 und 2013; der Film ist mehr ein Drama als ein Thriller, er knallt nur wenig und er stinkt auch nicht.

Dass er sein Publikum dennoch einnimmt, liegt zuerst am Schauspiel der Hauptdarsteller Joseph Gordon-Lewitt als Edward Snowden und Shailene Woodley als seine Freundin Lindsay Mills. Überaus glaubhaft verkörpern die beiden eine innig-konfliktreiche Liebe zwischen einem schüchternen, grundkonservativen Jungen, der nur wegen körperlicher Nichteignung nicht bei den Spezialeinsatzkräften landet und einer leichtfüßig-chaotischen jungen Frau, die für erotische Fotos posiert und Unterricht im Stangentanzen gibt: Ihre linksliberale Haltung färbt immer weiter auf ihn ab, bis schließlich er es ist, der ihre Prinzipien mit einem heiligen Ernst verfolgt, der ihr wiederum fremd wäre: Diese Liebesgeschichte ist als Erweckungsmoment schon deshalb plausibel, weil politische Haltungen im echten Leben nicht aus dem Reich der reinen Ideen auf die Erde hinabfallen. Auch der unmittelbare Auslöser für die Kopieraktion dreht sich zumindest im Film um Lindsay: Es ist der Moment, in dem ihm sein Geheimdienstführer vielsagend eröffnet, er könne als Mann ganz unbesorgt sein: Seine Freundin gehe definitiv nicht mit ihrem Lieblingsfotografen ins Bett.

Teils erinnert »Snowden« an den Agententhriller »Spy Game« aus dem Jahr 2001, in dem Robert Redford als CIA-Offizier seinen von Brad Pitt verkörperten Klassenbesten immer wieder über seine ethischen Grenzen drängt, bis der Lieblingsschüler gegen diesen Zynismus rebelliert. Denn auch Snowden war - und das ist auch nach Poitras’ Dokumentation eine Neuigkeit - nicht nur irgendein angestellter Hacker. Er war eine große Nachwuchshoffnung der US-amerikanischen Cyberkrieger. Die NSA stellte ihn offenbar ein, obwohl er vorher bereits die CIA, bei der er ausgebildet worden war, wegen moralischer Skrupel verlassen hatte: Im Film soll Snowden dabei einen Geschäftsmann durch massiven Druck auf den Liebsten seiner minderjährigen Tochter zur Kooperation zwingen; das Mädchen nimmt daraufhin Schlaftabletten und der Film-Snowden kündigt.

Da es der echte Snowden bisher - soweit man weiß - vermieden hat, sensible operative Details auszuplaudern, kann man annehmen, dass sich diese Geschichte nicht ganz so zugetragen hat, sondern nur so ähnlich. Aber dennoch ist nicht nur das an dem Film beklemmend, was man inzwischen ohnehin über die NSA-Spähprogramme weiß - sondern gerade auch das, was zwischendurch an Offline-Praktiken durchscheint. Denn immer wieder überläuft das Publikum zwischen Popcorn und Gummibärchen ein Schauer: Das hier ist kein fiktionaler Schinken.

Und gerade dies ist auch der Grund für die Schwierigkeiten, auf die selbst ein prominenter Altmeister wie Oliver Stone mit diesem Projekt gestoßen ist. Denn obwohl »Snowden« in einer höchst Hollywood-kompatiblen Szene endet, in der zu süßlicher Geigenmusik die »echten« amerikanischen Werte über die korrumpierten triumphieren, wollte niemand in Nordamerika den Film produzieren. Der dortige Filmstart wurde zudem seit Winter mehrfach verschoben - so dass nun das deutsche Publikum in den seltenen Genuss kommt, einen US-Film nur eine Woche nach dem amerikanischen sehen zu können.

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