Ein marxistisches Handbuch
Frank Deppes »Politisches Denken im 20. Jahrhundert« war vergriffen - zum 75. Geburtstag des Autors hat der VSA-Verlag die fünf Bände wieder aufgelegt
Es gibt eine Form von Bescheidenheit, die eher Ausdruck von Höflichkeit ist. Man will ja nicht angeben. Es gibt aber auch eine bescheidene Haltung, die mit Skepsis, mit der Idee des Zweifels, mit einer grundlegend kritischen Herangehensweise zu tun hat. Und mit großer Erfahrung. Falls die vier Bände von »Politisches Denken im 20. Jahrhundert«, erschienen erstmals zwischen 1999 und 2011, etwas dazu beitragen, Positionen zu stärken, die sich auf die Werte der Französischen Revolution und auf die der sozialen Gerechtigkeit beziehen, dann, so schreibt Frank Deppe, »hätte sich die Arbeit an ihnen gelohnt«. Vom Verlag VSA Hamburg ist »sein Grundlagenwerk« jetzt in fünf Büchern in neuer Ausstattung wieder aufgelegt worden.
Deppe hat seinerzeit mehrere Gründe gehabt, sich an die Arbeit zu machen - der, eine systematische Ideengeschichte der Politik des 20. Jahrhunderts zu schreiben, gehörte nicht dazu. Es sollte nicht ein politikwissenschaftliches Nachschlagewerk der Art werden, in der Studenten sich darüber vergewissern können, welches Buch wann und wie für bedeutend gehalten wurde. Wenn auch der Gedanke Deppe nicht fern schien, ein Handbuch der wichtigsten Vertreter des politischen Denkens jener Epoche zu schreiben, so sollte doch »kein Zweifel bestehen, dass es sich um ein marxistisches Handbuch handelt«. Die Ideen werden also immer in den Kontext der sozialökonomischen und politischen Geschichte des Kapitalismus in seiner Zeit gestellt, wer über Denken redet, kann über Krisen, Kriege und Kräfteverhältnisse nicht schweigen.
Das zumal, da sich Deppes »Politisches Denken« auf eine Zeitspanne konzentriert, die von einer einzigartigen Konstellation gezeichnet war: auf der einen Seite die Transformation in den Kapitalmetropolen von der Vorkriegsperiode über den Fordismus zum globalen Finanzmarktkapitalismus; auf der anderen Seite der Aufstieg des Sozialismus »als Staat« und seine Krisen und Niederlagen. Die Zeit danach ist aber auch für Deppe alles andere als ein »Ende der Geschichte« - im Gegenteil: Er teilt die Überzeugung, dass die Entgrenzung des globalen Kapitalismus, der nun ohne den Gegenpol der staatssozialistischen Systeme existiert und auch in seinem Inneren mit schwächer werdenden Gegenkräften konfrontiert ist, zugleich »die der historischen Tendenz der Kapitalakkumulation immanenten Widersprüche freisetzt und intensiviert«.
Deppes »Politisches Denken« schreitet durch ein Jahrhundert, das die »größte Hoffnungen« hervorbrachte und schon kurz darauf in die erste Katastrophe mündete. Max Weber, Vilfredo Pareto und Georges Sorel, Lenin und Sun Yat-Sen sind die Protagonisten des ersten Bandes. Im zweiten geht es um Carl Schmitt, die Sozialdemokratie, die frühe Frankfurter Schule, John Maynard Keynes, Walter Lippmann sowie Mahatma Gandhi und Mao Zedong. Der dritte Band, erschienen in zwei Teilbänden, beleuchtet das politische Denken vor dem Hintergrund von Kaltem Krieg, neoliberaler Gegen-Revolution und neuer Weltordnung. Der vierte Band schließlich befasst sich mit der Zeit nach dem Ende der Bipolarität - das Denken in Zeiten der »einen Welt« des Kapitals, vor dem Hintergrund des zerstörten »Stoffwechsels mit der Natur« und angesichts der Grenzen sozialliberaler Modernisierungsstrategien, die mitunter schon Anlass gaben, ein »Ende der Sozialdemokratie« auszurufen.
Dass der letzte Band mit einem Kapitel über den »Sozialismus im 21. Jahrhundert« schließt, ist dabei so konsequent wie es mit der Skepsis, mit der Idee des Zweifels, mit einer grundlegend kritischen Herangehensweise zu tun hat, dass Frank Deppe die Überschrift mit einem Fragezeichen beschließt. Antworten können Bücher allein nicht geben. Aber Bücher können helfen, die richtigen zu finden.
Frank Deppe: Politisches Denken im 20. Jahrhundert, 4 Bände in 5 Büchern, insgesamt 2184 Seiten. VSA Hamburg, 125 Euro.
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