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Tatsächlich kam ein Politbüromitglied vorbei
Horst Gobrecht würdigt den Kampf von Else und Alfred Nothnagel gegen Hitler und die Stalinisierung der DDR
Das Todesurteil für Alfred Noth-nagel hatten die Nazis schon geschrieben. Und seine Frau Else hat sich schon innerlich von ihrem Mann verabschiedet. Doch die beiden sollten die braune Diktatur überleben. Sie beteiligten sich am Aufbau der DDR, gerieten dann jedoch in die Mühlen der stalinistischen Repression. Bei aller Kritik am Dogmatismus der SED standen die Nothnagels in prinzipieller Solidarität zur DDR, deren Untergang beide im hohen Alter erlebten. Else Nothnagel starb 1993, ihr Mann 1999.
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* Horst Gobrecht: Entweder wir sind einig – oder wir sind nichts! Else und Alfred Nothnagel. GNN. 356 S., br., 18 €
Der Gewerkschaftler und Journalist Horst Gobrecht hat jetzt die Vita der beiden veröffentlicht, die zur Minderheit der anständigen Deutschen gehörten. Beide waren in Leipzig Mitglied der Jugendorganisation der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), die sich für eine Einheitsfront aller Hitlergegner einsetzte. Damit standen sie im Widerspruch zur offiziellen Politik von SPD und KPD. Gobrecht berichtet, wie die Noth-nagels eng mit Kommunisten zusammenarbeiteten, nachdem deren Partei auf die Politik der Volksfront eingeschwenkt ist. Ausführlich geht er auf die Arbeit der Antifaschisten in der NS-Freizeitorganisation »Kraft durch Freude« (KdF) ein. Entsprechend der Taktik des Trojanischen Pferdes wollten sie innerhalb der Massenorganisation auf Widersprüche zwischen Demagogie und Wirklichkeit im Faschismus aufmerksam machen. Gobrecht widerspricht der These des Historikers Alexander Lange, der das Eindringen von Antifaschisten in NS-Organisationen als »Überwintern« denunziert. Es war aktiver Widerstand. Gobrecht weist nach, dass die Jugendlichen Kontakte zu sowjetischen Kriegsgefangenen unterhielten und sogar Waffen für das illegale Buchenwaldkomitee organisierten, deren Übergabe indes nicht klappte.
Ins Reich der Legende verweist Gobrecht auch die Lesart der SED, nach der die Leipziger Antifaschisten unter Führung der KPD agierten. Der Autor weiß, dass die NS-Gegner oft voneinander isoliert tätig waren und die seinerzeitigen Direktiven der KPD erst Jahre später lesen konnten. Für Gobrecht ist es ein Ritterschlag, dass die jungen Kommunisten »auch tatsächlich bereit waren, selbstständig politisch zu handeln, statt auf eine (wirkliche oder imaginäre) zentrale operative Leitung der KPD innerhalb Nazideutschlands zu warten«. Der Autor berichtet, wie sich Alfred Nothnagel schon Mitte der 1960er für die Entmythologisierung der Geschichte des Leipziger Widerstands einsetzte.
Ausführlich widmet sich Gobrecht der Streitfrage, ob es sich bei der Gründung der SED um Einsicht in eine Notwendigkeit oder Zwang gehandelt habe. Nicht die Vereinigung, sondern die nachfolgende Stalinisierung ist für ihn das eigentliche Problem. Der Vereinigungsprozess sei gescheitert, als ehemalige Mitglieder linker Organisationen außerhalb der KPD wie Parteifeinde behandelt wurden. Auch die Nothnagels blieben davon nicht verschont. Nachdem Alfred Nothnagel bereits wegen seiner SAP-Vergangenheit angegriffen wurde, brachte ihm sein couragiertes Agieren am 17. Juni 1953 den endgültigen Bannstrahl ein. Als Direktor der VEB Textilwerke in Kirchberg hatte er sich der Kritik der Arbeiter gestellt und für sie gar eine Kundgebung angemeldet. Damit habe er gegen das von der Sowjetischen Militäradministration erlassene Versammlungsverbot verstoßen, hieß es.
Trotz Parteiausschluss blieben die Nothnagels Kommunisten. Sie kuschten vor niemandem. Als Alfred Nothnagel 1968 die Parteimitgliedschaft wieder zuerkannt und er aufgefordert wurde, sein Parteibuch abzuholen, lehnte er trotzig ab. Man müsse es ihm schon vorbeibringen. Tatsächlich kam ein Mitglied des Politbüros.
Gobrecht ehrt zwei außergewöhnliche, bewundernswerte Menschen.
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