Schlimm, schlimm, das alles!
»Uncertain States« in der AdK verfolgt die Krisen der Gegenwart - und verfängt sich selbst im Gefährdungsgeflecht
Ach ja, die Zeiten sind unsicher. In der festen Burg der Akademie der Künste (AdK) versuchen eine Ausstellung und eine mehrmonatige Veranstaltungsreihe unter dem schön doppeldeutigen Titel »Uncertain States« diesen Zuständen nachzuspüren. Das ist ein aufrichtiges, ein tapferes Unterfangen, das aber auch ungewollt komische Züge annimmt. Die Ausstellung darf man nämlich nur betreten, wenn man brav alle Taschen, mögen sie auch noch so klein sein, abgegeben hat. »Wir haben die Anweisung dazu«, sagt so unerschütterlicher Rechtssicherheit die Ausstellungsaufsicht, wie man sich den Spruch: »Ich habe die Anweisung, niemanden ohne gültige Ausweispapiere hineinzulassen« so gut auch bei einem Grenzbeamten an der deutsch-schweizerischen Grenze in den späten 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Angesicht jüdischer Flüchtlinge vorstellen konnte.
Klar, das eine ist schwer mit dem anderen zu vergleichen. Aber vor dem Einlasstor einer Ausstellung, die mit Geschichten von Flüchtenden vor dem Naziterror beginnt, wirkt der Spruch mit der »Anweisung« fast so, als hätte ein dem Diabolischen zugeneigter Kurator das Personal so instruiert, um eine Atmosphäre von Macht und Bedrohung zu erzeugen. Leider gab es diesen Kurator nicht. Und es handelte sich nur um das übliche gedankenlos pflichtgetreue Personal, das eben auch von sich ansonsten wohlmeinend kritisch gebärdenden Kunstinstitutionen angeheuert wird.
Betritt man dann vorschriftsmäßig vom Gepäck jeder Art befreit diese Ausstellung, die eigentlich den Flüchtenden der Gegenwart gewidmet sein sollte, wird man zunächst mit Geschichten von Mitgliedern der Akademie der Künste, die vor der Naziherrschaft das Weite suchten, konfrontiert. Dieser kontextuelle Rahmen befremdet, ja verärgert zunächst. Zu penetrant wirkt der Gestus des »Wir wissen, was Leid ist und haben darüber auch schon einiges gesammelt«, mit dem hier die Archivbestände der Akademie in den Präsentationsraum überführt wurden.
Natürlich, es sind eindrucksvolle Objekte darunter: Der Revolver etwa, mit dem sich Kurt Tucholsky dann doch nicht erschoss (er wählte Tabletten). Die Puppe, in der für Anna Seghers ein Originalbrief Heinrich Heines durch Frankreich geschmuggelt wurde. Das kostbare Dokument sollte auf der Flucht in Bares verwandelt werden, so die damalige Hoffnung. Heine erzählte in dem Brief von 1848 seiner Mutter auch von den Leiden des Exils in Frankreich - Beleg dafür, dass »Uncertain States« eher Normal- als Ausnahmezustände sind.
Bemerkenswertestes Objekt dieser Ausstellung in der Ausstellung ist aber ein Brief von der Redaktion des Aufbau, jener gefeierten Zeitschrift des besseren, des geflüchteten Deutschlands in New York, an Valeska Gert. Die Ausdrucktänzerin war in ihren Shows auch kritisch mit ihrem Aufnahmeland USA, machte sich etwa über die prüde Moral lustig. Das geschätzte Emigrantenorgan kritisierte Gert dafür, in der Angst, dass die gesamte Migrantenszene durch sie diskreditiert würde. Maulkörbe allüberall, selbst unter den Geflüchteten.
Mit dieser Erinnerung an die Auswahlkriterien, nach denen sowohl migrantische Szenen selbst als auch die öffentlichen Institutionen der Aufnahmeländer die Repräsentanten von Geflüchteten bestimmen - und so Sicherheiten, falsche natürlich, aber immerhin Sicherheiten, in sozial unsicherem Gelände erzeugen -, geht man dann in den »heutigen« Teil der »Uncertain States« hinüber.
Hier finden sich neben einer Anzahl wohlfeiler Arbeiten, die Flucht, Not und Polizeigewalt illustrieren - schlimm, schlimm, das alles, und ein kleiner Grusel krabbelt über den Rücken im sicheren Hanseatenweg - dann doch noch relevante künstlerische Auseinandersetzungen.
Arnold Dreyblatt etwa macht in seiner Installation »Dark Numbers« darauf aufmerksam, wie bereits »little data«, also Volkszählungen, seit dem 19. Jahrhundert von Regierungen dazu genutzt wurden, unliebsame ethnische, soziale und religiöse Gruppen zu identifizieren und später zu isolieren. Hollerith-Lochkarten aus der Kaiserzeit liegen in der Vitrine neben Rassevorschriften aus NS-Zeiten. Munter darunter verstreut sind auch Fragebögen heutiger Asylbehörden. Das geht es ans Eingemachte.
Interessant auch Ingo Günthers »World Processor«, eine Visualisierung von Migrationsdaten auf kleinen Globen. Häufigkeit und Größe der Kreise, die die Anzahl von Geflüchteten in einem Land darstellen, ist für Deutschland etwa schon recht groß. Größer und dichter sind diese Kreise aber im Nahen Osten selbst, in Jordanien, im Libanon, im Irak, auch in der benachbarten Türkei. Eine noch höhere Konzentration sieht man aber in Zentral- und Ostafrika - Krisengebiete, die kaum Aufmerksamkeit erregen, weil die dortigen Opfer zu weite Wege zurücklegen müssen, bis sie die Fernsehkameras der Medienanstalten und die Nachtsichtgeräte der Patrouillenschiffe des Abendlandes erreichen. Die Unsicherheit ist größer, als man denkt. Zumindest das macht die Ausstellung deutlich.
»Uncertain States. Künstlerisches Handeln in Ausnahmezuständen«. Bis zum 15. Januar in der Akademie der Künste, Hanseatenweg, Mitte
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