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Kampf gegen den IS in Mossul: Keine Zuflucht nirgends

Hunderttausende Flüchtlinge mussten die irakische Stadt verlassen - sie finden kaum Unterbringung und Versorgung

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Ende einer langen Reise trifft die Hoffnung in Debaga auf das Chaos: »Meine Familie und ich sind zwei Tage lang gelaufen«, sagt Laila, eine 14-Jährige, erschöpft und ängstlich. Ihre Mutter weint, während ihr Vater mit Mitarbeitern der UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR diskutiert: »Wir kommen aus einem Vorort von Mossul. Als das Militär kam, haben die Leute vom Islamischen Staat angefangen, alle Einwohner in unserer Straße zusammen zu treiben. Da haben wir uns auf den Weg gemacht. Und jetzt wissen wir nicht, ob wir hier bleiben können: Die Leute hier sagen, dass sie keinen Platz für uns haben.«

Doch Zuflucht ist in diesen Tagen rar: Seitdem im Oktober die Offensive auf Mossul und das Umland begann, sind im Irak Hunderttausende auf der Flucht. Manche versuchen, zu Angehörigen in Bagdad oder anderswo zu gelangen. Viele mehr suchen Schutz in einem der Flüchtlingslager im Norden. Doch die sind mittlerweile komplett überfüllt; beim UNHCR in Bagdad hat man eine Liste mit dringend benötigten Gütern zusammen gestellt. In Stichworten zusammen gefasst, würde sie den Umfang dieses Textes füllen. Gut 200 Millionen US-Dollar, sagen UNO-Sprecher in New York, würde man brauchen, um allein für diejenigen zu sorgen, die rund um Mossul auf der Flucht sind. 48 Prozent davon stehen derzeit zur Verfügung.

Und so müssen sich die Menschen an Orten wie Debaga, in dem sich die Zelte mittlerweile aneinander reihen, so weit das Auge blicken kann, seit Beginn der Offensive oft mit einer Matratze unter freiem Himmel begnügen, während ein paar Meter weiter Ärzte und Freiwillige aus Europa darüber diskutieren, wie man es schafft, dass das Narkosemittel nicht nur für den Achtjährigen mit der Schussverletzung – sondern auch für die 40-Jährige mit der akuten Blinddarmentzündung reicht.

Lange geplant – und doch unvorbereitet

Monatelang haben die irakische Armee und das US-Militär die Offensive gegen den Islamischen Staat geplant; Allianzen mit schiitischen Milizen, den de facto-Streitkräften der Autonomen Region Kurdistan, wurden geschmiedet. Und auch bei UNHCR wurde gerechnet und geplant: Mit 700.000 Flüchtenden rechnete man damals für die Zeit nach dem Beginn der Offensive. »Wir hoffen, dass die Lektionen der Vergangenheit gelernt wurden, und genug Gelder für die Bewältigung zur Verfügung gestellt werden,« sagte Bruno Gedddo, UNHCR-Chef für den Irak im September. Doch Geld für die Flüchtlinge tröpfelt nach wie vor nur spärlich.

Gleichzeitig werden auch die vorgeblichen Befreier immer wieder zu Unterdrückern: So wirft Human Rights Watch in einem am Wochenende veröffentlichten Bericht den kurdischen Peschmerga vor, systematisch Araber zu vertreiben. Man habe Hinweise darauf, dass in den vergangenen beiden Jahren systematisch Häuser im Besitz von Arabern zerstört wurden. Die kurdische Regionalregierung hingegen erklärt, die Zerstörungen, auf die sich die Hilfsorganisation berufe, seien meist durch Luftangriffe verursacht worden. Man werde aber dennoch eine Untersuchung der Vorwürfe einleiten.

Den schiitischen Milizen auf Seiten der irakischen Regierung wird indes vorgeworfen, Verbrechen an Sunniten zu begehen: Augenzeugen berichten, wie Kämpfer der Milizen die Bevölkerung befragen und jene töten, die in den Verdacht geraten, IS-Sympathisanten zu sein.

Und das irakische Militär selbst soll sich im großen Stil an Hilfsgütern bedienen. Mitarbeiter eines von elf gerade erst eingerichteten Flüchtlingslagern berichten, wie vor zwei Wochen eine Militäreinheit Zelte, Wasser und Nahrungsmittel mitnahm. Auf einem verborgen aufgenommenen Video ist zu sehen, wie die Soldaten Frauen und Kinder aus Zelten vertreiben, und diese dann abbauen; von 200 Zelten blieben gut 20 übrig. Wo einst eine neue Zuflucht entstand, ist heute nur karge Landschaft.

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