Immer häufiger arm trotz Arbeit

Jeder zehnte Beschäftigte hierzulande kann von seinem Erwerbseinkommen nicht leben

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer einen Arbeitsplatz hat, ist vor Armut geschützt? Das galt hierzulande vielleicht vor einigen Jahren noch, aber inzwischen haben sich die Verhältnisse geändert. Niedriglöhne, unfreiwillige Teilzeit oder Leiharbeit machen es immer mehr bundesdeutschen Beschäftigten schwer, von ihrem Arbeitseinkommen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das zeigen Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat, die die Linkspartei-Abgeordnete Sabine Zimmermann detailliert ausgewertet hat.

Die Daten, die »nd« vorliegen, sind nicht ganz neu, bereits vor einer Woche hatte die Bertelsmann-Stiftung daraus zitiert und festgestellt, dass im vergangenen Jahr 7,1 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen in Deutschland armutsgefährdet waren. Seit 2009 ist die Zahl damit um zwei Prozent gestiegen. Eurostat definiert diejenigen Bundesbürger als arm, die über weniger als 1033 Euro monatliches Nettoeinkommen verfügen.

Noch besorgniserregender sehen die Zahlen jedoch aus, wenn man sich alle Beschäftigten anschaut, nicht nur jene, die Vollzeit arbeiten. Dann wird klar, dass fast jeder zehnte Erwerbstätige akut von Armut bedroht ist. Waren im Jahr 2006 noch 5,5 Prozent der Beschäftigten betroffen, sind es demnach im vergangenen Jahr 9,7 Prozent gewesen. Das ist zwar ein minimaler Rückgang gegenüber 2014 (9,9 Prozent), aber sicher kein Grund zur Beruhigung.

Deutschland liegt damit sogar über dem Durchschnitt der EU-Länder (9,5 Prozent). Selbst in den krisengeschüttelten südeuropäischen Ländern Griechenland und Spanien sind es mit 13,4 beziehungsweise 13,1 Prozent nicht viel mehr. Die beiden Länder sind wegen ihrer hohen Arbeitslosigkeit aber schlecht mit Deutschland zu vergleichen. Anders sieht es mit Finnland oder den Niederlanden aus: Dort liegen – bei ähnlicher wirtschaftlicher Lage – die Armutsgefährdungsquoten Beschäftigter mit 3,5 beziehungsweise 5,6 Prozent deutlich niedriger als hierzulande.

Besonders gefährdet sind laut den Daten jene Bundesbürger, die in Teilzeit arbeiten oder befristet angestellt sind: Teilzeitbeschäftigte hatten 2015 ein Risiko von 14,5 Prozent, trotz Einkommens arm zu bleiben beziehungsweise es wegen zu geringer Bezahlung zu werden. Knapp zehn Jahre zuvor betraf das Problem erst 8,5 Prozent der Teilzeitbeschäftigten. Bei Menschen mit befristetem Arbeitsvertrag lag die Armutsgefährdung mit 18,1 Prozent noch höher – 2006 waren es laut Eurostat erst 11,2 Prozent.

Aber auch ein unbefristeter Arbeitsplatz ist keine Wohlstandsgarantie: Seit 2006 stieg die Armutsgefährdungsquote bei dieser Gruppe von 4,1 Prozent auf 7,5 Prozent im Jahr 2015. Trotz sinkender Arbeitslosigkeit und steigender Beschäftigungszahlen, wie sie jeden Monat freudig von der Bundesagentur für Arbeit verkündet werden, hat sich die Situation vieler Beschäftigter also nicht verbessert – im Gegenteil. Die höhere Armutsgefährdungsquote lässt den Schluss zu, dass der Niedriglohnsektor langsam, aber stetig ausgeweitet wurde und auch der Mindestlohn daran nicht viel ändern konnte.

»Die Einführung des Mindestlohns war nicht ausreichend, um Arbeit wieder existenzsichernd zu machen«, so Zimmermann gegenüber »nd«. Die seit 2015 geltende Lohnuntergrenze von derzeit 8,50 Euro sei zu niedrig, um Beschäftigte aus der Armutsfalle zu holen. Auch die zum 1. Januar 2017 geplante Erhöhung auf 8,84 Euro reiche dafür nicht aus. Die LINKE fordert einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde, der ohne Ausnahmen für alle gelten soll. Um prekärer Beschäftigung den Boden zu entziehen, müssten die Leiharbeit abgeschafft und sachgrundlose Befristungen gestrichen werden. »Arm trotz Arbeit darf es nicht länger geben.«

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