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Unappetitlich braun

Der Hydrogeologe Andreas Musolff über sinkende Stickoxidemissionen als Ursache der Wasserverfärbung in Trinkwassertalsperren

  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn von Stickstoff und Wasser die Rede ist, dann geht es meist um eine zu hohe Stickstoffbelastung. Sie haben nun bei den Zuflüssen einiger Trinkwassertalsperren überraschenderweise gefunden, dass auch Stickstoffmangel schlecht für das Wasser sein kann. Wie ist das möglich?

Wir haben im Rahmen eines vom Bundesforschungsministerium finanzierten Drittmittelprojekts den Anstieg von gelöstem organischen Kohlenstoff in Oberflächengewässern, Flüssen und Talsperren untersucht. Die damit verbundene Braunfärbung des Wassers wird in Nordeuropa und Nordamerika schon seit Jahrzehnten beobachtet, doch man fand keine Erklärung dafür. Dieser Anstieg von organischem Kohlenstoff (DOC), vor allem Huminstoffen, stellt Wasserversorger vor eine Herausforderung. Denn die müssen die Huminstoffe in der Wasseraufbereitung entfernen. Das bringt zusätzliche Kosten mit sich.

Dr. Andreas Musolff

untersucht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig den Weg von Wasserinhaltsstoffen in Einzugsgebieten von Flüssen sowie Eintrag, Transport und Verbleib von Mikroverunreinigungen in städtischen Gewässern. Steffen Schmidt sprach mit ihm über die Ergebnisse einer mit Kollegen aus Magdeburg und Potsdam verfassten Studie zum überraschenden Zusammenhang von abnehmenden Stickoxidbelastungen und Veränderungen in Trinkwassertalsperren. Die Studie erschien im Fachjournal »Global Change Biology (DOI: 10.1111/ gcb.13498).

Sie sprechen von Nordamerika und Nordeuropa. Wie weit betrifft dieses Problem Deutschland?

Für Deutschland gab es bisher keine Übersicht. Wir haben nun von 36 Trinkwassertalsperren Daten bekommen, die über einen Zeitraum von 20 Jahren ab 1993 die Gewässerchemie in deren Einzugsgebieten erfassen. Das sind Daten von 110 Einzugsgebieten, da in manche Talsperre mehrere kleine Flüsse münden. Dabei fanden wir in knapp 40 Prozent der Einzugsgebiete einen signifikanten Anstieg der DOC-Konzentration. Und diese Veränderung geht ziemlich parallel zur Abnahme der Nitratwerte.

In dem untersuchten Zeitraum hat aber nicht nur die Menge an Stickoxiden abgenommen. Noch stärker dürfte die Belastung durch Schwefelverbindungen aus der Verbrennung von Kohle zurückgegangen sein. Warum also der Stickstoff und nicht der Schwefel?

Tatsächlich macht die am meisten zitierte Hypothese zur Erklärung der steigenden DOC-Konzentrationen die gesunkene Belastung mit Schwefeldioxid - Stichwort Saurer Regen - verantwortlich. Unsere Überprüfung der Messdaten aus den Einzugsgebieten der Trinkwassertalsperren bestätigte das aber nicht. Weder die Änderung der Sulfatwerte noch des pH-Wertes erklären die Anstiege von DOC gut. Deswegen haben wir uns nach einem alternativen Modell umgesehen. Und da kamen wir eben auf die Nitratwerte.

In den Einzugsgebieten, wo es keine natürlichen oder landwirtschaftlichen Nitratquellen gibt, gab es den stärksten Anstieg von organischem Kohlenstoff, aber eben auch von Phosphat und Eisen, wenn der Stickstoffeintrag aus der Luft verringert wurde. Das legt einen Zusammenhang nahe.

Wie erklären Sie sich diesen Vorgang chemisch?

In Böden ist der organische Kohlenstoff normalerweise ganz gut an Eisenminerale fixiert. Das funktioniert gut, solange das Eisen nicht reduziert ist. Wird das Eisen durch Mikroben reduziert, werden die daran absorbierten DOC-, aber eben auch Phosphatverbindungen frei und kommen ins Wasser. Das passiert zum Beispiel in Auenböden mit natürlicherweise hohen Grundwasserständen. Unter Sauerstoffabschluss reduzieren Mikroben dann das Eisen. Und da kommt das Nitrat ins Spiel. Solange Nitrat da ist, lassen die Bodenmikroben das Eisen in Ruhe, weil das Nitrat eine günstigere Energiequelle für Mikroorganismen ist. Und damit kommt es auch nicht zum vermehrten Export von DOC, Eisen und Phosphat. Und sobald eben diese Nitratkonzentrationen einen bestimmten Schwellenwert unterschreiten, werden diese Stoffe mobil und können relativ schnell bei Regen aus den Böden in Gewässer gelangen.

In vorindustrieller Zeit war die Belastung durch Stickoxide gering. Zugleich wird aber in alten Texten das Wasser von Gebirgsflüssen als klar und rein beschrieben. Wieso gab es dann nicht solche Verunreinigungen?

Die Frage haben wir uns auch gestellt. Ich glaube, man kann nicht einfach davon ausgehen, dass es solche Braunfärbung damals generell nicht gab. Bei Wasser aus Einzugsgebieten mit Flussauen würde ich es als durchaus natürlich ansehen, dass viele Huminstoffe im Wasser sind und es eine gewisse Braunfärbung hat. Das stört beim Trinken erst mal auch nicht. Es ist lediglich in der Wasseraufbereitung ein Problem, weil man das Wasser so braun nicht in die Leitung schicken kann. Es ist in gewissem Sinne vermutlich eine Rückkehr zu naturnahen Bedingungen, wo es einfach mehr Huminstoffe im Wasser einiger Einzugsgebiete gab.

Man darf auch nicht vergessen, dass wir in einer Kulturlandschaft leben, die seit dem Mittelalter vom Menschen geformt wird. Da ist schon die Frage, was ist unser Referenzpunkt für naturnahe Bedingungen. Ist das 1850, mit Beginn der Industrialisierung, oder das 13. Jahrhundert.

Wenn die Huminstoffe ungefährlich sind, was ist dann das Problem der Wasserwerke? Nur die unappetitliche Braunfärbung?

Organischer Kohlenstoff und diese Huminstoffe sind nicht giftig. Es ist lediglich das Problem, dass die Braunfärbung im Trinkwasser unerwünscht ist. Zusammen mit den erhöhten Eisenkonzentrationen würde das Wasser auf längere Sicht vermutlich die Wäsche braun färben. Problematischer sind steigende Phosphatkonzentrationen, nicht unbedingt für den Wasserkunden, aber für die Talsperre selber, weil einfach ein Mehr an Phosphat auch ein Mehr an Algenwachstum bedeutet. Das müssen nicht mal giftige Blaualgen sein.

Was kann man denn tun, um die Zunahme von organischem Kohlenstoff, Phosphaten und Eisen zu stoppen?

Das ist momentan eine heiß diskutierte Frage. Wir haben für unsere Metastudie selber keine Messungen gemacht, sondern Daten gesammelt und interpretiert. Das ist noch keine eineindeutige Beweisführung. Dazu müssten wir als nächsten Schritt zum Beispiel ein Feldexperiment machen und direkt an der Stickstoffschraube drehen und gucken, ob es tatsächlich die Auswirkungen hat, die wir uns vorstellen. Wenn das dann tatsächlich die gewünschte Wirkung hat, wäre es denkbar, in den Auen zum Beispiel eine gewisse Bewirtschaftung zuzulassen.

Dem klassischen Wasserschutzkonzept diametral entgegengesetzt ...

Tatsächlich ist die Talsperren-Bewirtschaftung erst mal darauf ausgelegt, Nährstoffe aus dem System zu entfernen. Aber mit dem DOC-Problem muss man das vielleicht überdenken. Ob man eine Bewirtschaftung zulässt, ist allerdings mehr eine politische Entscheidung als eine rein wissenschaftliche.

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