Die Rache Gottes

Zelda Fitzgerald tritt aus dem Schatten ihres Mannes - erstmals erschienen ihre Erzählungen unter ihrem Namen auf Deutsch

  • Katrin Boese
  • Lesedauer: 5 Min.

Zelda Fitzgerald wird für mich immer mit der Ostsee, mit Sonne, Sand und Strandkorb verbunden bleiben. Als ich dort vor Jahren Zeldas Briefe aus zwei Jahrzehnten an ihren Mann las, überkam mich eine gewisse Trauer, trotz des sommerblauen Himmels und des wellenrauschenden Meeres. Bis dahin hatte ich als ostsozialisierte Leserin wenig über die Fitzgeralds gewusst, keines ihrer Werke gekannt. Ich stieß in diesem Taschenbuch, »F. Scott und Zelda Fitzgerald: Lover! Briefe«, aber auf Ungereimtheiten: Wie konnte es sein, dass bei einer Frau Schizophrenie diagnostiziert wird, wenn diese zum gleichen Zeitpunkt einen seitenlangen kohärenten Brief an ihren Mann schreibt, in dem sie unmissverständlich die Scheidung fordert?

Nun ist im Manesse Verlag die deutsche Erstausgabe von Zelda Fitzgeralds Erzählungen erschienen. Zu ihren Lebzeiten unter der gemeinsamen Autorenzeile »F. Scott und Zelda Fitzgerald« publiziert, brachten sie dem Ehepaar auf diese Weise weitaus höhere Honorare. Zeldas Erzählung »Das Mädchen und der Millionär« erschien im Mai 1930 sogar nur unter F. Scott Fitzgeralds Namen. Die Autorin konnte nichts gegen die Unterschlagung ihrer Urheberschaft tun - zwei Wochen zuvor hatte sie wegen eines Erschöpfungssyndroms eine Pariser Klinik aufgesucht. Nach kurzer Zeit dort ließ sie sich viel zu früh entlassen, um ihren Ballettunterricht wieder aufzunehmen.

»Zelda schwach und matt«, verzeichnet Fitzgerald im Mai 1930 in seinem Notizbuch. Noch im selben Monat brachte er seine abgemagerte Frau in eine Schweizer Klinik für gastrointestinale Erkrankungen, mit dem Versprechen, danach mit ihr nach New York zurückzukehren, wo sie sich beim Massine Ballett bewerben wollte. Auch aus dieser Klinik ließ sich Zelda Fitzgerald bald wieder entlassen. Nach einer Übernachtung mit ihrem Mann in einem Lausanner Hotel betrat sie jedoch freiwillig - es gab niemals eine Zwangseinweisung - eine psychiatrische Privatklinik am Genfer See, wo sie fünfzehn lange Monate bleiben sollte.

Die Erzählung »Andere Namen für Rosen«, 1991 erstmals publiziert, eröffnet mit dem Satz: »Diese Geschichte spielt vor langer Zeit, noch vor der Rache Gottes und dem Japanischen Krieg.« Man verstünde die »Rache Gottes« nicht, wüsste man nicht, dass Zelda Fitzgerald die autobiografische Erzählung über Hemingways Avancen 1926 in Juan-les-Pins während ihres Schweizer Psychiatrie-Aufenthaltes schrieb, als sie fürs Erste am Leben mit dem schwer alkoholkranken Fitzgerald und ihrem Versuch, auf eigenen finanziellen Füßen zu stehen, gescheitert war. In ihrer Ironie ist die »Rache Gottes« zu jenem Zeitpunkt, da die Autorin dies niederschrieb, noch kein Anzeichen tiefer Gläubigkeit - obgleich sie später tief religiös werden sollte -, sondern ihre Art von Galgenhumor, der so typisch ist für ausweglose Situationen. Denn der Traum von einer Ballettkarriere und einem eigenen Ballettstudio war Ende 1930 endgültig ausgeträumt.

Nur zwei Jahre später sollte ihr als Ehe-Enthüllungsroman angelegter und von Fitzgerald stark gekürzter Debütroman »Save Me the Waltz« zum Flop werden, ebenso ihr Theaterstück »Scandalabra« im Frühsommer 1933. Und für ihre Erzählungen fand Fitzgeralds Literaturagent keine Käufer. Lediglich »Miss Ella« und »Zwei Verrückte« konnten 1931/32 in »Scribner›s Magazine« erscheinen, die Short-Story »Von Europa aus betrachtet« im »New Yorker« - alle drei Erzählungen wurden unter ihrem Namen gedruckt. Zelda Fitzgerald, die ab 1930 mehrfach den Wunsch nach Scheidung geäußert hatte, war nicht länger bereit, den Namen ihres Mannes in der Autorenzeile zu akzeptieren.

Mit einer sechsteiligen Serie über junge Amerikanerinnen, die mehr oder weniger erfolgreich versuchen, als Tänzerin, Theater- oder Filmschauspielerin, als Pensionsbetreiberin oder Ehefrau ihren Platz im Leben zu finden oder auch nur dank ihres Reichtums ziellos durchs Leben jetsetten, wollte Zelda Fitzgerald ihren Ballettunterricht selbst finanzieren, da ihr Mann ihr vorwarf, sie lebe von seinem Geld. Und so fand Fitzgerald es nur gerecht, in der Autorenzeile aufzutauchen, zumal er die Modelle dafür geliefert habe: Mary Hay sei die Figur in »Mädchen mit Talent«, Josephine Ordway die Figur in »Das Mädchen, das dem Prinzen gefiel«. Doch es war Zelda, die die beiden jungen Frauen in Fiktion verwandelte - nicht Scott. Es war Zelda, die Picasso in Mr. Braunbein verwandelte, Hemingway in Tilliyum, und für deren Figur Belanova in »Andere Namen für Rosen« Picassos erste Frau, Olga Chochlowa, und die blutjunge Lois Moran, in die Fitzgerald sehr verliebt war, Pate standen.

Es sind oft schillernde Figuren, die Zelda Fitzgerald in ihren Erzählungen zeichnet, von »Unsere Leinwandkönigin« bis zu »Die erste Revuetänzerin«, dem der Erzählband den Titel entnahm: Als die Erzählerin ihrer Protagonistin Gay das erste Mal begegnet, sitzt diese im Japanischen Garten des »Ritz« und isst Himbeeren mit Sahne. Fitzgerald hatte die Erzählung seiner Frau statt einer eigenen, vertraglich fälligen Story mit den Worten »Das ist ein armseliger Ersatz« an seinen Literaturagenten geschickt.

Dass es sich bei jeder von Zelda Fitzgeralds elf Erzählungen um keinen »armseligen Ersatz« handelt, davon kann sich nunmehr der Leser überzeugen. Es sind virtuos erzählte Geschichten, von bezaubernder Poesie und atmosphärischer Dichte, opulent im Stil und voll beeindruckender Metaphern. Ihre Erzählungen sind wie ihre Gemälde, die zu ihren Lebzeiten weitgehend unbeachtet blieben, und von denen nach ihrem Tod ein Großteil den Flammen zum Opfer fiel wie Jahre zuvor deren Schöpferin selbst - farbig, sinnlich, plastisch. Mit sprachlicher Schönheit zeichnet die Autorin Bilder von der Magie des Südens, mit einem nostalgischen Gefühl für Vergänglichkeit, ohne dabei je ins Sentimentale abzugleiten. Und in ihren Porträts erweist sie sich als genaue Beobachterin, die auch vor satirischen Spitzen nicht zurückscheut, wenn sie launigen Spott ausgießt über reiche Nichtstuerinnen oder junge Mädchen mit illusionären Hoffnungen an das Leben, die von diesem »zerfleddert« werden. Ein großes Lesevergnügen.

Zelda Fitzgerald: Himbeeren mit Sahne im Ritz. Manesse, 224 S., geb., 24,95 €.

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