Dritte Runde in Dresden
»Dresden Nazifrei«-Aktivist muss wieder vor Gericht
Es war der bislang größte Erfolg antifaschistischer Proteste gegen Neonazis: Tausende Aktivisten blockierten 2010 und 2011 in Dresden das rechtsextreme »Gedenken« an die Luftangriffe der Alliierten auf die sächsische Stadt im Zweiten Weltkrieg. Der mit zwischen 5000 und 7000 Rechten europaweit größte Neonazi-Aufmarsch wurde so gestoppt und gehörte fortan der Geschichte an. An den Blockaden beteiligten sich trotz teils massiver Polizeigewalt rund 20 000 Menschen - darunter auch der Berliner Antifaschist Tim H. Er hatte mehr Pech als die anderen. Am Mittwoch wird er inzwischen in dritter Runde wegen Landfriedensbruchs vor Gericht gezerrt.
Ursprünglich lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Rädelsführerschaft und schwerer Landfriedensbruch: Tim H. soll mit einem Megafon bestückt »Kommt nach vorne!« gerufen haben, um eine Gruppe Aktivisten zu ermutigen, eine Polizeikette zu durchbrechen - was dann auch geschah. In erster Instanz wurde der Antifaschist 2013 zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil hatte bundesweit für Empörung gesorgt, da die Beweisführung große Lücken aufwies: Das Megafon wurde nie gefunden, Zeugen hatten den Angeklagten entlastet. Der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft konnte Tim H. nicht identifizieren.
Unter dem Motto »Wir sind alle Dresden Nazifrei« wurde eine Solidaritätskampagne gegründet, an der sich unter anderem die Linkspartei beteiligte.
Im Januar 2015 hob das Landgericht Dresden das Urteil auf. Der Vater von inzwischen zwei kleinen Kindern wurde von den Vorwürfen des schweren Landfriedensbruchs und der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen - und lediglich zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung von Polizeibeamten verurteilt. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Dresden jedoch Revision ein, das Oberlandesgericht Dresden gab dem statt. Laut Tim H.s Anwalt Sven Richwin liegt der Grund dafür in der lückenhaften Urteilsbegründung des Richters. »Zwar wurde der schwere Landfriedensbruch ausgeschlossen, leider aber nicht der einfache.« Am Mittwoch muss Tim H. in die dritte Verhandlungsrunde vor dem Dresdner Landgericht. Der Prozess wird vollständig neu aufgerollt.
»Bislang haben die Beweisaufnahmen die Tatvorwürfe immer entkräftet«, so Richwin, »aber bei der sächsischen Justiz muss man leider immer auf Überraschungen gefasst sein.« Ärgerlich sei insbesondere die extrem lange Verfahrensdauer, die nicht nur die Nerven des Familienvaters strapaziere, sondern auch die Kosten in enorme Höhen treibe. »Scheinbar soll Tim schon durch die lange Verfahrensdauer bestraft werden, selbst wenn von den Vorwürfen am Ende nichts übrig bleibt.«
Auch die Solidaritätsarbeit für Tim H. springt mit dem neuen Prozess wieder an. »Antifaschismus ist kein Verbrechen«, schreibt die Kampagne »Wir sind alle Dresden Nazifrei« auf Facebook und fordert den Freispruch.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.