Finanzier der Einheit
Ex-Bundesbankchef Hans Tietmeyer ist gestorben
Nicht allein die Popstars der Babyboomer-Generation sterben aus. Auch die Architekten der deutschen Einheit wie Hans Tietmeyer - von 1993 bis 1999 Präsident der Bundesbank. Der Finanzfachmann begleitete die Politik Helmut Kohls. Mit dessen Wahl zum Bundeskanzler 1982 war Tietmeyer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium geworden. Als »Sherpa« des Kanzlers bereitete er die Gipfel der größten Volkswirtschaften vor. Ab März 1990 beriet der Bundesbanker den Kanzler bei den Verhandlungen mit der DDR und wurde so zu einem der Architekten der »Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion«.
Mit seinem hölzern-konservativen Auftritt verführte das CDU-Mitglied seine Kritiker dazu, ihn zu unterschätzen. Doch der Diplom-Volkswirt »mit preußischer Disziplin« hatte durchaus einen eigenwilligen Kopf: So riet er in zwei zentralen Punkten vom DDR-Übernahmevertrag ab. Tietmeyer plädierte für eine schrittweise Einführung der D-Mark, um der DDR-Wirtschaft den Übergang in den real existierenden Kapitalismus zu erleichtern. Und er kritisierte das Umtauschverhältnis von der »schwachen« DDR-Mark zur »starken« DM im Verhältnis 1 zu 1. Dadurch werde die Geldmenge aufgeblasen und Inflation drohe.
Seit an Seit begleitete Tietmeyer seinen Ziehvater Kohl auch in die europäische Währungsunion. Auf Tietmeyers Initiative hin wurde 1991 im Vertrag von Maastricht - der Grundlage für den gemeinsamen europäischen Markt - die Unabhängigkeit der künftigen Europäischen Zentralbank (EZB) festgeschrieben. Nach dem Vorbild der Bundesbank.
Gleichwohl scheute der Katholik keinen politischen Konflikt. Er steht als Vertreter der »Krönungstheorie« dafür, dass eine gemeinsame Währung erst den Abschluss der wirtschaftlichen Integration darstellen sollte. Letztlich schloss er sich aber dem politischen Willen der Regierungen für eine frühe Währungsunion als Schrittmacher der Integration an.
Zum Ärger der Linken trat Tietmeyer für hohe Leitzinsen und niedrige öffentliche Schulden, Einsparungen im Sozialsystem und eine Konzentration des Staates auf seine Kernaufgaben ein. Tietmeyers maßgeblicher akademischer Lehrer war der Kölner Professor Alfred Müller-Armack, Wortschöpfer der »Sozialen Marktwirtschaft«.
Wenig erfolgreich war der Vater zweier Kinder allerdings in der realen Wirtschaft: Bis zur Schieflage in der Finanzkrise war er Aufsichtsratsmitglied der Hypo Real Estate - vom Staat »gerettet« mit 100 Milliarden Euro. Damit war der Stabilitätsfan zum zweiten Mal für die sprunghaft steigende Staatsverschuldung des Bundes mitverantwortlich. Tietmeyer starb im Alter von 85 Jahren, teilte die Bundesbank am Mittwoch mit.
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