Wir wollen ein Satire-Kalifat

Die »Datteltäter«, darunter Farah Bouamar, nehmen antimuslimische Klischees aufs Korn

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Bouamar, was verbirgt sich hinter den »Datteltätern«?
Marcel Sonneck, Fiete Aleksander, Younes Al-Amayra und ich sind eine YouTuber-Gruppe, die sich »Datteltäter« nennen. Wir wollen ein Satire-Kalifat für zwanghafte Toleranz im Herzen der Social-Media-Szene mit unserem Kurzvideo-Format errichten und dabei gesellschaftskritische und sensible Themen rund um den Alltag der Muslime in Deutschland mit einer zynischen Prise Humor und Witz problematisieren: Rassismus, Stereotype, Hass, Radikalisierung, Sexismus und vieles mehr. Wir wollen damit eine Alternative zu dem bieten, was es im Netz an beunruhigendem Humbug zu den Themen Islam und Muslime gibt und den Schreihälsen die Show stehlen. Zum anderen wollen wir mit unseren Videos dem medial angeheizten Schwarz-Weiß-Bild von Islam und Muslimen mit etwas entspannter Satire entgegenwirken, um eine längst überfällige Brücke zwischen Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit zu schlagen.

Was bedeutet der Name »Datteltäter« und wie sind Sie darauf gekommen?
Unser Name ist durch wochenlanges Hin- und Herüberlegen entstanden und vereint in einem Kompositum zwei grundverschiedene Begriffe: Dattel und Attentäter. Während die Dattel vor allem für Muslime eine besondere Frucht und positiv konnotiert ist, erinnert Attentäter an tollwütige vermummte Männer, die darauf warten, eine Bombe hochzujagen. Die Zusammenführung beider Worte sorgt für eine eigenartige Allusion: Datteltäter - Attentäter? Satirisch bedeutet dies: Wir machen fruchtbare Attentate auf Lachmuskeln und Gehirne. Der Tenor des Begriffs mag etwas zynisch klingen, veranschaulicht unser Vorhaben, mit Satire zum Nachdenken und Hinterfragen von Vorurteilen anzuregen, aber ziemlich gut.

Farah Bouamar

Farah Bouamar, 24, studiert Philosophie und Literaturwissenschaften an der Universität Paderborn. Die Muslimin hat die Berliner Satiregruppe »Datteltäter« mitbegründet. Über ihre Videos im Netz, Hass-Kommentare und warum Muslime sehr wohl über sich selber lachen können, sprach mit der Studentin Jérôme Lombard. 

Warum Satire?
Die Satire ist ein großartiges Tool, ernste Themen mit einer humorvollen Gelassenheit zu entschärfen. Satire hat immer einen ernsten Kern, auf den wir bei unserer Arbeit nicht verzichten möchten. Satire vereint Spaß und Ernst.

Muslime sind humorlos und können nicht über sich selber lachen. So lautet ein verbreitetes Vorurteil. Was halten Sie dem als Muslimin, die Satire-Videos dreht, entgegen?
Vorurteile entstehen, wenn persönliche Interaktion und Kommunikation fehlen. Wenn das gemeinsame Gespräch ausbleibt, entsteht schnell ein einseitiges Bild. Ich kann nur jedem den Tipp geben: Mach Deine Erfahrungen mit den Menschen! Du wirst unter Muslimen jene finden, die einen ähnlichen Humor wie Du selber haben. Du wirst aber auch denjenigen begegnen, die ein anderes Verständnis von Humor haben oder jene treffen, die keinen Humor haben. Muslime funktionieren nicht nach einer Bedienungsanleitung. Sie sind keine homogene Gruppe.

Sind alle »Datteltäter« muslimischen Glaubens?
Marcel, unser selbsternannter Quotenchrist, ist der letzte Rest »vollwertiger Leitkultur«, den unser Kanal zu bieten hat. Bei Fiete wurde in der Vergangenheit erfolgreich zwangsmissioniert, Younes und ich hatten von Geburt an keine Alternative. Wir sind seit Langem Freunde. Zusammengefunden haben wir uns über ein Vorgängerprojekt.

Wie sind die Reaktionen im Netz?
Der Zuspruch ist ziemlich groß, unsere Videos werden zehntausendfach geklickt. Sowohl von der Mehrheitsgesellschaft als auch von der muslimischen Community bekommen wir positives Feedback.

Bekommen Sie auch Hass-Kommentare?
Ja, wir haben so einige Hasskommentare und gelegentlich einen Shitstorm im Angebot. Auffällig ist, dass vor allem dann ein Shitstorm ausbricht, wenn eine Frau aus unserem Team im Fokus des Videos steht. Von wem die Hasskommentare kommen, ist überschaubar: Es sind AfD-Anhänger, Rechtsorientierte, sogenannte »Islamkritiker« und ab und an ein übermotivierter Gotteskrieger, der uns in die Hölle schicken will. Fanatiker haben es nicht so mit Humor und Gelassenheit.

Wie gehen Sie damit um?
Wir bespaßen uns an der Idiotie der Kommentare, indem wir sie screenshooten, speichern und löschen. Das machen wir, um die Kommentare als Inspirationsquelle für neue Videos zu nutzen. Wir löschen, weil wir dem Hass keine Plattform bieten wollen. Wir begrüßen Counter Speech von unseren Zuschauern, wissen aber auch, dass Gegenrede schnell an ihre Grenzen stößt, wenn eine Flut von Hass-Kommentaren auf einen einprasselt. Sofern es nur eine Person aus unserem Team ist, auf die der Shitstorm niedergeht, übernehmen die Nicht-Betroffenen die Aufgabe, sich die Kommentare durchzulesen und zu löschen.

Die »Datteltäter« sind mit ihrem Channel auf YouTube zu finden.

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