Nicht die Menge macht’s
Zur Behandlung von Erkältungsbeschwerden sind Kombinationspräparate häufig ungeeignet
Der Hals kratzt, die Nase kribbelt, man fröstelt. Oft sind das die ersten Anzeichen eines grippalen Infekts, im Volksmund Erkältung genannt. Vor allem im Winter bleibt davon in Deutschland kaum jemand verschont. Und obwohl Erkältungen als Bagatellerkrankungen gelten, können sie unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigen. In der verständlichen Hoffnung, möglichst schnell wieder gesund zu werden, vertrauen viele Menschen auf Erkältungsmittel.
Mangel herrscht hierbei nicht, eher Überfluss. Die meisten Präparate sind in der Apotheke rezeptfrei erhältlich, und wie hervorragend sie angeblich wirken, erzählt uns täglich die Werbung. Mit Erfolg. Allein im Jahr 2015 erzielten die Anbieter von rezeptfreien Arzneien zur Linderung von Erkältungsbeschwerden einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro. Am meisten verkauft wurden drei abschwellende Nasensprays, ein Hustenlöser sowie eine Pflanzenmedizin.
Zu den Favoriten unter den Erkältungsmitteln gehören auch Grippostad C und Wick MediNait, die beide gleich mehrere Wirkstoffe enthalten. Denn als Patienten lassen wir uns gern von der Devise leiten: Viel hilft viel. Doch die meisten Kombinationspräparate halten nicht, was ihre Hersteller versprechen. Gelegentlich schaden sie sogar unserer Gesundheit, wie eine aktuelle Untersuchung des Magazins »Öko-Test« ergeben hat.
Grippostad C zum Beispiel enthält pro Hartkapsel 200 Milligramm Paracetamol, 150 Milligramm Ascorbinsäure (Vitamin C), 25 Milligramm Koffein und 1,76 Milligramm Chlorphenamin. Paracetamol wirkt nachweislich fiebersenkend und schmerzlindernd. Dagegen haben Vitamin C und Koffein keinen wissenschaftlich belegten Effekt bei der Behandlung von Virusinfektionen der Atemwege. Auch die Kombination von Paracetamol und Acetylsalicylsäure (ASS), wie man sie in Grippal+C Ratiopharm findet, ist laut Öko-Test bedenklich. Manche Experten sind sogar der Ansicht, dass diese Mixtur häufiger einen medikamentenbedingten Kopfschmerz verursacht als einzelne Schmerzmittel. Außerdem kann Paracetamol, wenn es überdosiert wird, zu schweren Leberschäden führen.
Mit Wick MediNait, einem Erkältungssirup, lassen sich nach Angaben des Herstellers nicht weniger als sechs Beschwerden über Nacht lindern: Fieber, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Halsschmerzen, Schnupfen und Reizhusten. Pro 30 Milliliter enthält der Sirup neben Paracetamol (600 Milligramm) den Hustenstiller Dextromethorphan (11,56 Milligramm). Dazu kommen Ephedrin (6,17 Milligramm), eine Substanz, die im Nasenraum abschwellend wirkt, sowie das stark sedierende Antihistaminikum Doxylamin (5,22 Milligramm). Das Ganze ist gelöst in einem Quantum Alkohol, welches ungefähr einem halben Glas Bier entspricht.
Wie die pharmakritische Arznei- und Gesundheitszeitschrift »Gute Pillen - Schlechte Pillen« schreibt, kann diese Mischung »richtig gefährlich« werden - namentlich wenn jemand unter Herz- und Schilddrüsenerkrankungen, Bluthochdruck oder Atemwegserkrankungen leidet. Aber auch für Menschen, die wegen einer Depression spezielle Medikamente einnehmen müssen oder diese gerade abgesetzt haben, sollte Wick MediNait »absolut tabu« sein. Ein Risiko besteht außerdem für schwangere und stillende Frauen sowie für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Zwar werden diese und andere Kontraindikationen auf dem Beipackzettel angeführt. Doch wer liest den schon immer sorgfältig? Noch dazu bei einem rezeptfreien und harmlos erscheinenden Sirup. »Gute Pillen - Schlechte Pillen« gibt erkälteten Menschen deshalb den Rat: »Widerstehen Sie der Verlockung, mit einem Präparat alle befürchteten oder vorhandenen Beschwerden lindern zu wollen, und das über Nacht!«
Von den 15 rezeptfreien Erkältungsmitteln, die Öko-Test untersucht hat, erhielt nur eines die Note »gut«: ASS + C von Ratiopharm gegen Schmerzen, wobei man auch hier auf Vitamin C getrost hätte verzichten können. Als »ausreichend« bewertet wurden unter anderem Aspirin Complex, Boxagrippal, Gripphexal und Ratiogrippal. Sieben Kombipräparate fielen sozusagen durch, sie bekamen die Note »ungenügend«. »Erkältungsmittelkombinationen sind Produkte, die vom Marketing aufgebaut werden und für die in der Werbung eine zuverlässige Wirksamkeit auf alle möglichen Symptome suggeriert wird« erklärt der Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser. »Sie werden eingenommen, obwohl der eine oder andere Bestandteil der Kombination de facto nicht benötigt wird. Rational erscheint mir dies nicht.«
Wie schwierig es ist, eine pharmakologisch verträgliche Wirkstoffkombination herzustellen, zeigt das Beispiel Doregrippin, ein Erkältungsmittel, das neben Paracetamol die schleimhautabschwellende Substanz Phenylephrin enthält. Noch im März 2016 wurde diese Mixtur auf »apotheke-adhoc.de« als sinnvoll bezeichnet. Ganz anderer Auffassung sind die neuseeländischen Mediziner Hartley Atkinson und Brian Anderson. Im renommierten »New England Journal of Medicine« wiesen sie daraufhin hin, dass Paracetamol den Blutspiegel von Phenylephrin auf 400 Prozent ansteigen lässt. Dadurch wiederum kann es zu zahlreichen Nebenwirkungen kommen wie Schwindel, Zittern, Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Herzrasen.
Gewöhnlich verläuft eine Erkältung harmlos und klingt nach wenigen Tagen wieder ab. Die Symptome während dieser Zeit mit »Schrotschüssen« zu bekämpfen, halten Experten für nicht ratsam. Sie empfehlen stattdessen Präparate, die nur einen Wirkstoff enthalten. Damit sollte jeweils das Symptom bekämpft werden, das die Betroffenen am meisten beeinträchtigt. Zur Linderung von Kopf- und Gliederschmerzen sind Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und andere Schmerzmittel geeignet. Nasentropfen dienen dem Abschwellen der Nasenschleimhäute und erleichtern so die Atmung. Bei hartnäckigem Husten können schleimlösende Hustensäfte eine Hilfe sein.
Früher waren Ärzte relativ schnell geneigt, bei einer Erkältung Antibiotika zu verordnen. Das hat sich inzwischen geändert. Denn grippale Infekte werden nicht von Bakterien, sondern von rund 200 verschiedenen Virenarten verursacht, gegen die Antibiotika nicht wirken. Allerdings kommt es bei Erkältungen nicht selten zu bakteriellen Folgeinfektionen, die mit Entzündungen der Nasennebenhöhlen, des Mittelohrs, der Bronchien oder der Lunge einhergehen. Hier kann es durchaus angebracht sein, unter ärztlicher Anleitung eine Antibiotika-Therapie durchzuführen.
Eine Impfung gegen Erkältungskrankheiten galt wegen der Vielzahl der auslösenden Viren lange als aussichtslos. Inzwischen ist die Medizin auch hier ein Stück vorangekommen. Im Jahr 2016 hat ein Forscherteam um Martin Moore von der Emory School of Medicine in Atlanta (USA) einen Impfstoff entwickelt, der gegen 50 verschiedene Schnupfen- bzw. Rhinoviren gleichzeitig wirkt. Ein Test an zwei Rhesusaffen verlief erfolgreich. Nach der ersten Impfung hatten die Tiere Antikörper gegen 82 bzw. 90 Prozent der Viren gebildet. Nach einer Auffrischung waren sie sogar gegen 98 Prozent der Viren immun.
Derzeit schützt die Impfung aber nur vor sogenannten Typ-A-Rhinoviren, die ähnlich wie die 2006 entdeckten Typ-C-Viren für zahlreiche schwere Verläufe bei grippalen Infekten verantwortlich sind. Gegen Typ-C-Rhinoviren wirkt das neue Serum bisher nicht. Erst wenn dieser Mangel behoben ist, können die Forscher daran gehen, den Impfstoff auch klinisch an Menschen zu testen.
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