Viele Minijobber erhalten weniger als der Mindestlohn
Der Mindestlohn funktioniert nicht richtig, auch weil der Zoll kleinere Betriebe nur selten überprüft
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) lässt nichts auf den von ihr eingeführten Mindestlohn kommen: »Er wirkt, er funktioniert, er ist gelebter Alltag«, freut sich die Ministerin auf ihrer Webseite. Doch offenbar funktioniert er nicht überall so, wie Nahles sich das wünscht. Denn viele Arbeitgeber umgehen die gesetzliche Lohnuntergrenze und speisen ihre Beschäftigten mit Stundenlöhnen von unter 8,50 Euro ab.
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte am Montag eine Untersuchung, wonach im Jahr 2015 knapp die Hälfte der geringfügig Beschäftigten mit einem Minijob als Haupterwerbsquelle weniger als 8,50 Euro brutto die Stunde erhielt. Minijobber dürfen mit ihrer Tätigkeit maximal 450 Euro pro Monat verdienen. Sie sollten besonders vom 2015 eingeführten Mindestlohn profitieren. Sie stellten »gut 34 Prozent derjenigen, deren Löhne aufgrund des seit 2015 geltenden Gesetzes aufgestockt werden müssten«, heißt es dazu in der Studie.
Doch die Praxis sieht anders aus: Erhielten 2014 rund 60 Prozent aller Minijobber weniger als 8,50 Euro pro Stunde, waren es nach Einführung des Gesetzes noch etwas mehr als 50 Prozent: »Jeder zweite Minijobber musste sich also weiterhin mit einem geringen Stundenlohn zufriedengeben«, konstatieren die Autoren der WSI-Studie, Toralf Pusch und Hartmut Seifert. Dieses Ergebnis signalisiere, »dass es offensichtlich nicht ausreicht, Mindestlöhne per Gesetz vorzuschreiben. Notwendig sind geeignete Maßnahmen einer wirksamen Kontrolle«.
Und eben da hapert es, meint Karin Vladimirov, Sprecherin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Insbesondere im Gastgewerbe gebe es viele Minijobber und hier würde der Mindestlohn oft unterlaufen, so Vladimirov im Gespräch mit dem »neuen deutschland«. »Hier wird vor allem mit der Arbeitszeit getrickst, indem man die Stunden nicht richtig abrechnet«, so Vladimirov. Die NGG-Sprecherin bezeichnete es als problematisch, dass der Zoll als Kontrollinstanz viel zu selten kleinere Betriebe überprüfe: Die Behörde kontrolliere schwerpunktmäßig und dann meist nur größere Firmen. Generell gelte: »Es wird zu wenig kontrolliert.«
Tatsächlich gab es einen Strategiewechsel bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls, die auch für den Mindestlohn zuständig ist. Der Sprecher der Finanzkontrolle bestätigte dies am Montag gegenüber dem »nd« und erklärte, dass man die »Zielrichtung« geändert habe. Statt auf die einzelne Putzfrau konzentriere man sich jetzt auf »organisierte Formen der Schwarzarbeit«, wo auf einen Schlag gleich 100 bis 200 Fälle aufgedeckt würden.
Dieser Strategiewechsel des Zolls verringert das Entdeckungsrisiko für Schwarzarbeit und Lohndrückerei im kleinen Rahmen, etwa in der Gastronomie. Tatsächlich aber kontrolliere man auch im Gastgewerbe, so der Sprecher. »Wir arbeiten im Zwei-Schicht-System und können so auch abends prüfen.«
Allerdings fehlt es noch an Personal. Denn von den 1600 zusätzlichen Stellen, die der Bund dem Zoll für seine neue Aufgabe zugesagt hatte, sind noch längst nicht alle besetzt. »Sie müssen die Leute erst einmal finden und ausbilden«, so der Sprecher. Etwa 200 habe man bislang eingestellt. Insgesamt seien aber bereits 800 bis 1000 Kollegen zusätzlich im Einsatz, weil innerhalb des Zolls umgeschichtet worden sei. So würden Beamte aus anderen Zollbereichen für eine gewisse Zeit bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit tätig sein.
Das Bundesarbeitsministerium reagierte am Montag verschnupft auf die Studie des gewerkschaftsnahen Instituts, das man wohl als Verbündeten in der Sache wähnte. Eine Sprecherin vermutete »Unschärfen und Messungenauigkeiten«. So könne nur schwer berücksichtigt werden, dass bestimmte Entgeltanteile auf den Mindestlohn angerechnet werden. Andere Studien, die zum Teil auf größeren Datenquellen basierten, belegten die Aussagen des WSI in dieser Form nicht, sagte die Sprecherin am Montag dem Evangelischen Pressedienst.
Dabei können sich die Studienautoren auf zwei Quellen berufen, die über jeden Zweifel erhaben sind. Denn die Untersuchung speist sich aus Daten des sozio-ökonomischen Panels sowie des Panels Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung. Für das erste Panel werden jährlich 27 000 Menschen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung befragt. Für den zweiten Datensatz interviewt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung etwa 13 000 Menschen. Dass die Autoren nach Auswertung beider Panels auf eine fast identische Quote kommen, spricht für die Relevanz der WSI-Studie.
Doch ganz wirkungslos ist der Mindestlohn nicht. Seit seiner Einführung ist die Zahl der Minijobs rückläufig. Das Modell, das Lohndrückerei Vorschub leistet, funktioniert dort nicht mehr, wo Arbeitgeber mit Kontrollen rechnen müssen.
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