Nur die Liebe zählt

Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin: «Edward II.» von Andrea Lorenzo Scartazzini und Thomas Jonigk

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 3 Min.

Edward II.«, ein Titel wie von Shakespeare. Königsdrama, also Verrat, Politik, Mord, schwarze Seelenpein - hätte man erwarten können. Was man bekam, war eine Liebesgeschichte. Eine hermetische Tragödie um den König und seinen Liebhaber Gaveston, in zehn Szenen erzählt aus der Sicht der Königin Isabella, aus der Sicht des Hofes, des Volkes, vor allem aber aus der Innensicht des Paares.

Abendfüllend, lebensfüllend wird Edward II. von den Autoren der Oper ausschließlich durch seine Sexualität definiert. Ist das Fühlen und Tun homosexueller Männer so eindimensional simpel, darf man sich fragen. Das englische Spätmittelalter (Edward II. lebte von 1284 bis 1327) mit seinen Kämpfen gegen Schottland, seiner Heiratspolitik in Frankreich, mit seinen Hofintrigen, Finanz- und Grundstücksmanipulationen, mit seinen Auseinandersetzungen zwischen Parlamentarismus und zügelloser absoluter Herrschaft, seiner Günstlingswirtschaft, seinem Kampf gegen Adel und Kirche wird vom Librettisten Thomas Jonigk ausschließlich in Bezug auf das Liebesdrama beleuchtet.

Wobei, die Liebe der beiden Männer selbst ist kein Drama. Untadelig edel, zärtlich und schön sind sie einander zugetan. Brutal sind die anderen. Die Kirche in Person des Bischofs von Coventry schäumt vor Hass und weiß für einen Moment sogar noch Schlimmere als die Juden: die »Sodomiten«. Das Volk, der Mob, bläst zur blutgierigen Homosexuellenjagd - unter Mitführung von Transparenten, wie man sie jüngst in Frankreich sah. Selbst Graf Roger Mortimer, späterer Liebhaber der von ihrem Ehemann verstoßenen Königin, zerrt die Frau grob über die Bühne.

Dieses überflüssige Detail war das einzige Störende in der Regie Christoph Loys. Ansonsten über den 90-minütigen pausenlosen Abend eine eindrucksvoll kammerspielhafte, sehr stimmige Führung der Personen, eine Ästhetik der Liebesszenen, wie man sie selten sieht, eine der Masse wirklich Macht und Gewalttätigkeit verleihende Chor-Regie, eine starke Intensität ins allgemeinere zielender Selbstreflexionen. Die klischeeschwulen Accessoires, Federn, Lederriemen, Glitzerkleider nahm man, in der Komischen Oper hinreichend abgehärtet, so hin.

Das Bühnenbild (Annette Kurz) ein schwarzer Raum mit gotisch angedeuteter Architektur, die Kostüme (Klaus Bruns) ein auf die jeweiligen Träger konzentrierter Gegenwartslook. Spektakulär das weibische Bischofskostüm, das von seinem Träger selbst in unfreiwilliger Ironie geifernd gegeißelt wird.

Bei allen Einwänden gegen das sehr szeneinterne Libretto - interessante Parallele übrigens zur bundesdeutschen Schwulenbewegung der 70er Jahre, die im Gegensatz zur Frauenbewegung kaum einen ins Große greifenden politischen Ansatz fand - war »Edward II.« eine wirklich erfolgreiche Opernuraufführung. Gespannte Aufmerksamkeit und endlich jubelnder Beifall. Das liegt zum einen daran, dass hier kein musikalisch-theoretisches Konstrukt auf die Bühne gehievt wurde, sondern eine kraftvolle Handlung mit starken Leidenschaften temporeich und begreifbar erzählt wurde. Oper eben.

Zum anderen erklang eine Musik, die buchstäblich vom ersten Ton an fesselte. Ein bedrohlich grummeliger, klackender, knirschender Geräusch-Ton-Raum schließt sich immer enger um den einsamen König. Dann quillt der Chor aus allen Ritzen des Bühnenbildes, singt etwas Kompaktes, Choralartiges, Bedrohliches, zelebriert eine pervertierte blutige Hochzeit - bis der König aus seinem Albtraum erwacht. So der sehr starke Beginn von Andrea Lorenzo Scartazzinis Komposition. Weitere musikalische Höhepunkte: die Traumerzählung der Königin, eine Jagdszene, in der der Mob Gaveston mit brachialen Raumklängen verfolgt, die sehr fremden Streicherklänge für die Figur eines Engels, eine Knabensopranpartie, in der Edward III. seinem Vater über die Hinrichtung Gavestons berichtet. Es gibt burleske, an Shakespeare und Schostakowitsch erinnernde Narrenszenen und einen sehr bedenkenswerten überraschenden Schluss. Oper eben. Wie hervorragend Thomas Søndergård das Werk zum Klingen brachte, werden erst Vergleichsaufführungen ganz ermessen lassen. Am Premierenabend stimmte jedenfalls alles. Tempo, Pracht der Klangfarben, Balance zwischen Orchester und Bühne, alles perfekt.

Das naturgemäß männerstimmendominierte Solistenensemble war sehr gut aufgelegt, herausragend Agneta Eichenholz als Isabella.

Nächste Vorstellung: 24.2.

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