Kommission gegen Kinderarmut
An der Linksfraktionsklausur nahm auch SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres teil
Berlin ist die Stadt mit der höchsten Kinderarmutsrate. Exakt 173 437 Minderjährige leben hier in Haushalten mit ALG-II-Bezug. Rechnet man jene rund 80 000 Kinder sogenannter »Aufstocker« hinzu, ist sogar jeder dritte Heranwachsende abhängig von staatlichen Transferleistungen. Im Bundesdurchschnitt ist es dagegen nur jedes siebte Kind, in Bayern nur jedes 15.
Die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hatte das Thema Kinderarmut auf ihrer Klausurtagung am vergangenen Wochenende in Leipzig ganz weit oben auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei sind die Probleme nicht neu. Doch habe es beim früheren rot-schwarzen Senat an strategische Gemeinsamkeiten gefehlt, um dieses Problem anzugehen, kritisierte der Fraktionsvorsitzende Udo Wolf am Rande der Tagung.
Dass dies mit Rot-Rot-Grün nun anders wird, zeigte die dreitätige Klausur der LINKEN. Denn diese hatte SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres eingeladen, die in Leipzig den schnellen Aufbau einer Landeskommission zur Bekämpfung von Kinderarmut verkündete. Eine Geschäftsstelle hierfür sei schon »in Vorbereitung«. In dieser Kommission sollen Senatsbehörden und Bezirke ebenso mitarbeiten wie Experten aus den Schulen sowie von Jugendhilfe, Drogenhilfe und Psychiatrie. So nahm an einer konkreten Diskussionsrunde zu Maßnahmen und Vorhaben im Kampf gegen Kinderarmut am Samstag auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes Ulrich Schneider teil. Ab 2018 soll es daneben auch ein Jugendfördergesetz für Berlin geben - an ihm werde bereits »zackig gearbeitet«, so Katrin Möller, die jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion.
Senatorin Scheeres erklärte auf der Klausur zudem dazu, dass »Hartz IV zu Kinderarmut führt«. Linksfraktionschef Wolf wertete dieses Bekenntnis als Erfolg. Denn der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz polarisiere derzeit »ja schon mit minimalen Korrekturen« zu Hartz IV, ohne das Thema Kinderarmut auch »nur am Rockzipfel gepackt« zu haben, so Wolf. Doch wann, wenn nicht jetzt, also in dieser auf viel strategischer Gemeinsamkeit basierenden Koalition, solle man diese drängende Problematik endlich angehen?, fragte Wolf auf einer Pressekonferenz am Samstagmittag.
Ebenfalls auf der Leipziger Klausur kündigte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE) eine neue »Sozialberichterstattung« des Senats an. Sie müsse ressortübergreifend erfolgen, denn trotz inzwischen vieler Daten und Analysen fehle eine einheitliche politische Strategie gegen die Armut in der Stadt. Hierzu rechnet sie auch den Mangel an fachkundigem Personal in der Verwaltung und bei den Trägern. Um die Engpässe im Bildungs-, Sozial- und Jugendbereich zu verringern, soll es bald spürbare Gehaltserhöhungen geben. Denn selbst die jüngsten Tariferhöhungen im sozialpädagogischen Dienst hätten es nicht vermocht, auch nur den Abstand zu Brandenburg zu verringern, rügte in der Debatte Gernot Klemm, Jugend- und Sozialstadtrat für die LINKE in Treptow-Köpenick.
Dass die neue Senatskoalition nach dem laut Wolf »alles andere als glücklich verlaufenden Start« nun doch zu einem tragfähigen Schulterschluss fähig ist, zeigten auch andere Beispiele in Leipzig. So will R2G laut Breitenbach auch die prekären Arbeitsverhältnisse eindämmen, etwa über Vergaberichtlinien oder eine gezieltere Wirtschaftsförderung. Und ihre Senatskollegin Scheeres versprach »kräftige Investitionen« in den weiteren Ausbau von Kitas und Schulen. Zudem sollen alle Berliner Kitas nicht nur ab August 2017 beitragsfrei sein, sondern die Träger auch daran gehindert werden, Familien durch übermäßige Zuzahlungen - etwa so genannte Vorhaltekosten oder Sanierungsbeträge - regelrecht »abzuzocken«. Dem werde man »einen Riegel vorschieben«, kündigte Scheeres an.
Einen zweiten Schwerpunkt der Klausur bildete die Frage der Bürgerbeteiligung. Hierzu arbeite man an einem »Instrumentenkasten mit neuen Formaten« für eine kontinuierliche Bürgerteilhabe, so Udo Wolf. Ziel sei es etwa, sozial Schwächere aus ihrer Isolation zuholen. Und auch auf diesem Feld sehe er viele Gemeinsamkeiten mit den beiden Koalitionspartnern. Gerade bei den Grünen erlebe er »große Neugier und Ernsthaftigkeit« in der Arbeit. Die Co-Fraktionsvorsitzende Carola Bluhm ergänzt: »Man spielt nicht auf Konkurrenz, sondern will gemeinsam etwas bewirken.« Bei der SPD sei dagegen noch »eine gewisse Schwankungsbreite« zu erleben.
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