Unser Haus, Dein Haus, das Haus der Welt
Wo sollen wir leben? Offener Brief der Shuar - Ecuadors Indígenas wenden sich an die Öffentlichkeit
Wie viele von Euch wissen, waren die vergangenen Tage sehr gefährlich für unsere Leute. Und die Gefahr ist noch nicht vorbei. Das ist vermutlich erst der Anfang einer großen territorialen Auseinandersetzung, die die nationale Regierung gegen die Shuar Arutam eingeleitet hat.
Unser Urwald wurde mit Tränen, Angst und Blut befleckt. Die Pfade, die wir in Frieden begingen, sind unsicher und gefährlich geworden. Es ist nun fast 30 Jahre her, dass die Ecuadorianer uns als Helden des Cenepa (Krieg um die Landesgrenze mit Peru, Anm. d. Red.) anerkannten, als die Verteidiger von Ecuador, dem Land, dem wir angehören.
Seit Ecuador Schürfrechte für Kupferminen an chinesische Firmen vergeben hat, wehren sich die Shuar gegen Landraub und Umweltverschmutzung. In Nankints in der Provinz Morona Santiago kam es 2016 zur Wiederaneignung ihres Territoriums. Es folgte ein Einsatz der Armee in Nankints und der gescheiterte Versuch der Regierung, die den Shuar nahestehende Organisation Acción Ecólogica zu verbieten. nd
Nun ist es an der Zeit, dass die Leute aus unserem eigenen Mund erfahren, wer wir sind. Viele haben in unserem Namen gesprochen, ohne uns zu fragen: die Regierung, Politiker, soziale Aktivisten - manche mit guten, manche mit schlechten Absichten. Wir sind hier geboren, in diesem riesigen Urwald, der die Cordillera del Cóndor und die Flüsse Zamora und Santiago umfasst. Stacheldraht und Privatbesitz kannten wir nicht. Bis der Staat unser Land zu Brachland erklärte und seine Besiedelung organisierte, mit dieser Überzeugung und Selbstlegitimierung, die allen Siedlern zueigen ist. Als die Siedler dann kamen, haben wir sie freundlich empfangen, weil wir wussten, dass sie arme, hart arbeitende Leute sind, die nur eine Chance für sich und ihr Leben suchen. Ganze Landstriche gehörten uns von einem Tag auf den anderen nicht mehr, weil Besitztitel auf die Namen von Leuten ausgestellt worden waren, die wir zum Teil nicht einmal kannten.
In den 1960er Jahren mussten wir die Interprovinzielle Shuar-Vereinigung FICSH gründen, die wir bis heute als unsere Mutter betrachten, damit der Staat endlich anerkannte, was immer unseres gewesen war: das Territorium, unsere Lebensräume und unsere Kultur. Erst in den 1980er Jahren wurden dann Gemeinschaftstitel auf unser Land ausgestellt. Wir erhielten nicht nur aufgrund des Cenepa-Kriegs Anerkennung, sondern auch weil wir diese jahrtausendealten, riesenhaften Wälder erhalten hatten, in Frieden und zum Schutz der Landesgrenze.
Im Jahr 2000 bereiste eine Gruppe von Shuar-Anführern dieses Land und gründete das Shuar-Arutam-Territorium, so wie die Verfassung es vorschrieb. Das war nicht einfach; es gab Hunderte von Versammlungen und Diskussionen, bis sich schließlich sechs Verbände mit ihren 48 Gemeinden zusammentaten, um so ein zusammenhängendes Territorium von 230 000 Hektar in der Provinz Morona Santiago an der Grenze zu Peru zu schaffen.
Die FICSH eröffnete uns ihr Pilotprojekt, innerhalb des ecuadorianischen Staates eine neue Form indigener Selbstregierung auszuprobieren, eine Art Spezialregime in den Grenzen dieses Shuar-Gebiets. Im Jahr 2003 entwickelten wir unseren Lebensplan, der das Rückgrat unserer Organisation darstellt. Er ist der Kompass, der uns die Richtung weist, der uns sagt, welche Flüsse wir befahren können und wo wir unsere Nase besser heraushalten. Unser Lebensplan behandelt grundlegende Fragen wie Gesundheit, Bildung, den Erhalt und die Kontrolle des Waldes und seiner Ressourcen, Wirtschaft und Umweltschutz. Wir sind praktisch die einzige Gruppe des Landes, die ihr Territorium nach Kategorien nachhaltiger Nutzung eingeteilt hat. 120 000 Hektar haben wir zum strikten Schutzgebiet erklärt, zum Nutzen aller Ecuadorianer.
Im Jahr 2006 wurden wir vom Entwicklungsrat der Nationalitäten und Völker Ecuadors CODENPE als Shuar-Arutam-Volk legalisiert. Zwei Jahre später unterzeichneten wir einen Vertrag mit der Regierung, um unseren Wald 20 Jahre lang in perfektem Zustand zu erhalten und dafür Zuschüsse zu bekommen, die uns helfen würden, unseren Lebensplan umzusetzen. Dieser Vertrag heißt Socio Bosque - Waldpartner.
Im Jahr 2014 haben wir unseren Lebensplan aktualisiert. Einmal mehr sprach sich unsere Generalversammlung dagegen aus, dass innerhalb unseres Gebiets Bergbau im mittleren oder industriellen Maßstab betrieben wird. Wir haben zu Präsident Correa gesagt: Kommen Sie uns nicht damit, dass Sie Bergbau betreiben, um uns aus der Armut zu holen. Denn wir fühlen uns mit unserer Lebensweise nicht arm. Sagen Sie uns lieber, wie Sie uns als Volk und unsere Kultur schützen werden.
In dieser Situation brach der Konflikt von Nankints aus. Im Namen eines »nationalen Interesses« und indem die Vorfälle in Nankints zum Einzelfall erklärt werden, ignoriert die Regierung andere Rechte und Dinge, die laut Verfassung ebenfalls im nationalen Interesse liegen sollten: die Plurikulturalität und der Naturschutz. In Nankints benimmt sich die revolutionäre Regierung wie jeder x-beliebige Kolonisator und vergisst sogar die internationalen Verpflichtungen, die sie selbst eingegangen ist.
Das Problem liegt nicht in dem Stück Land um Nankints, das wir mit den Siedlern teilen. Von dem die Leute glauben, dass es niemals den Shuar gehört hat. Es lag außerhalb unserer Vorstellungswelt, dass einmal ein Bergbauunternehmen einfach das Land unserer Vorfahren vom Staat und von ein paar Siedlern kaufen könnte. Die Regierung ist vergesslich, und da sie viele Medien besitzt, um sich Gehör zu verschaffen, setzt sie ihre eigenen Wahrheiten durch. Unser Gebiet umfasst nicht nur Nankints. Über 38 Prozent unseres Lands sind dem Mega-Bergbau überschrieben worden. Die gesamten Flussläufe des Zamora und des Santiago wurden an den Klein-Bergbau konzessioniert. Und ein riesiges Wasserkraftwerk ist im Begriff, gebaut zu werden. Unsere Frage lautet: Wo sollen wir Eurer Ansicht nach leben?
Aus diesem Grund haben wir vor neun Jahren dem Unternehmen gesagt, es soll unser Land verlassen, und uns Nankints zurückgeholt. Neun Jahre später hat irgendjemand den Präsidenten manipuliert, damit er uns gewaltsam vertreibt, noch bevor er abtritt. Weil wir uns das nicht gefallen lassen, kommt es zu Gewalt. Sie haben uns die Schuld für die Tragödie mit dem ermordeten Polizisten gegeben, aber wir haben keinerlei Befehl ausgegeben, jemanden umzubringen. Die Regierung hingegen schickt, anstatt mit uns zu sprechen, Tausende von Polizisten und Militärs in unsere Häuser, auf unser Land, terrorisiert und bedroht unsere Kinder.
Soweit ich weiß, ist keiner von uns Scharfschütze, noch besitzen wir Feuerwaffen, die einen Polizeihelm durchschlagen würden. Warum ermitteln sie nicht gründlich, bevor sie uns verfolgen, bevor sie Haftbefehle für all unsere Familienväter ausstellen? Warum verkünden sie bei uns den Ausnahmezustand, anstatt mit uns zu reden, um zu ermitteln, um die Gewalt zu stoppen, um den dunklen Kräften die Türen zu verschließen? Warum dringen sie in unsere Häuser ein? Warum lassen sie uns nicht in Frieden leben? Die Antwort, die wir erhalten, ist, dass wir angesichts des nationalen Interesses nur eine Handvoll folkloristischer und terroristischer Indios sind und nicht verstehen, was Buen Vivir bedeutet. Und schon gar nicht Sumak Kawsay oder das Projekt der Bürgerrevolution.
In diesem ersten Kommuniqué aus den Wäldern der Cordillera del Cóndor sagen wir tausend Familien Euch, dass wir unter keinen Umständen zulassen werden, dass die Gewalt und die Macht der Regierung unser Haus, Dein Haus, das Haus der Welt zerstört. Der Präsident muss ein Klima des Friedens schaffen, seine Truppen zurückziehen, den Ausnahmezustand in unserer Provinz aufheben sowie die Haftbefehle gegen unsere Anführer und Angehörigen. Der einzig richtige Weg, um diesen Weg der Zerstörung zu beenden - der einzelne Shuar zu isolierten Widerstandsaktionen treibt, um ihr Gebiet zurückzuerobern -, ist der Dialog, der Respekt, das gegenseitige Verständnis. Wir fordern alle Bewohner Ecuadors und Morona Santiagos auf, sich unserer Forderung nach Frieden, der Beendigung der Gewalt und einem ernsthaften Dialog mit der Regierung anzuschließen; einem Dialog, der unser Leben als Ureinwohner respektiert.
Übersetzung: Ximena Montaño. Zuerst in »Lateinamerika Nachrichten« erschienen
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