Die Größe des Bösen
TV-Wochenendtipp: »Honigfrauen« im ZDF über zwei Schwestern in der Endzeit der DDR
Das Böse hat keine messbare Größenordnung. Wenn man hingegen die Darstellung deutscher Geschichte im Fernsehen betrachtet, zeigt sich das Böse oft als klar umrissener Personenkreis. Wird zum Beispiel der Nationalsozialismus akkurat dekoriert zum Filmthema, gibt’s pro Dorf maximal zwei Nazis und selbst im Führerhauptquartier viele Regimegegner. Doch während das Tätervolk fiktional vor 1945 zur winzigen Schar brauner Fieslinge im Kreis verwirrter Regimegegner schrumpft, wächst es danach regelmäßig auf Bevölkerungsgröße an.
Willkommen in der TV-DDR. Dort nämlich zogen vor 14 Jahren schwarzuniformierte Killerkommandos durch Ostberlin anno 1954, um in Hans-Christoph Blumenbergs Doku-Drama »Der Aufstand« Konterrevolutionäre zu jagen, als hätte der Regisseur kurz die Staatssicherheit mit der SS verwechselt. Spätestens seit diesem Sündenfall tendenziöser Historisierung gilt am Bildschirm: Das Unrechtssystem Ost war vollumfassend, das von Hitler eben das von Hitler plus ein paar Mittäter, ansonsten aber: bewohnt von Opfern.
Das sollte man beachten, wenn das nächste Vorwendedrama läuft. »Honigfrauen« erzählt drei Sonntage in Folge die Urlaubsreise zweier Schwestern aus Erfurt zum Sehnsuchtsort des Sozialismus. Am Balaton erleben Catrin und Maja aber nicht nur Friede, Freude, Liebeleien, sondern von Lügen über Verrat bis Willkür alles, was das Familienleben in autoritären bzw. diktatorischen Systemen halt noch mehr erschüttert als in Demokratien. Dennoch zeigt Ben Verbongs Dreiteiler etwas Ungewöhnliches: Das Böse der DDR ist nur ein Aspekt unter vielen. »Honigfrauen«, wie Wessi-Jungs im Devisen-Hotel paarungsfähige Ossi-Mädchen im Zelt nennen, dürfen im ZDF ausnahmsweise einfach nur Menschen sein. Vorerst.
Denn nachdem Cornelia Gröschel und die unvermeidliche Sonja Gerhardt als arglose Anfangszwanziger ihre Freizeit anderthalb Teile lang recht unbefangen genießen dürfen, sickert die Realität mit jeder Minute tiefer ins Ferienglück der Figuren ein. Catrins Schwarm Rudi (Franz Dinda) erweist sich bald als Spitzel auf der Jagd nach Republikflüchtlingen und Majas Lover Tamás (Stipe Erceg) als deren ungarischer Fluchthelfer. Mutter Kirsten (Anja Kling) teilt derweil ein dunkles Familiengeheimnis mit dem anwesenden BRD-Bürger Erik (Dominic Raacke), was die Begegnung mit dem nachgereisten Vater Karl (Götz Schubert) am Plattensee stark verkompliziert.
Nach dem Buch von Natalie Scharf und Christoph Sieber ist das nie frei von Weltpolitik. Dennoch darf sich der Alltag des Ostens unabhängiger von jeder Ideologie entfalten als in all den DDR-Abhandlungen von »Das Leben der anderen« bis zuletzt »Der gleiche Himmel«. Die Ausstattung ist verglichen mit dem Durchschnitt weniger gewollt als angemessen nostalgisch. Der Soundtrack grast nicht zwanghaft die Hits der Achtziger ab, sondern streut auch mal Manfred Krug mit subversivem Frohsinn à la »spazieren nur auf der Sonnenseite/dann wird alles gut« ein. Selbst die realsozialistische Enge daheim wird eher dokumentiert als ausgestellt.
Gewiss - auch dieser Dreiteiler bleibt ein Blockbuster für die Masse mit etwas zu netten Sympathieträgerinnen, etwas zu fiesen Führungsoffizieren, etwas zu plakativer Ästhetik. Doch das Wesen der Menschen ist »Honigfrauen« spürbar wichtiger als die Größenordnung des Bösen. Im abgenutzten Genre zeitgeschichtlicher Fiktion ist das viel wert.
ZDF, 23.4., 20.15 Uhr
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