Wanderer zwischen den Welten
Von großen Denkern, einem schwierigen Exil und der Arroganz der Macht
Er wurde als Sohn eines Bahnbeamten in Süddeutschland geboren. Früh schon litt er unter der kleinbürgerlichen Atmosphäre, die in seinem Elternhaus herrschte, und flüchtete sich in die Welt der Märchen und Abenteuer. Mit zwölf Jahren habe er seine Männlichkeit entdeckt, schrieb er in seinen Erinnerungen. »Viele rohe Burschen in der Klasse. Freunde: ein schwarzer Junge, wir trieben Unzucht, gingen über Land und rauchten, liebten und achteten uns, was man in dieser Zeit mehr braucht.« Sein besonderes Interesse galt der Philosophie. Bereits mit 14 studierte er in der nahe gelegenen Schlossbibliothek die Werke von Kant, Fichte, Hegel, Schopenhauer und Nietzsche.
Die Schule fand er entsetzlich, auch das humanistische Gymnasium, das er besuchte, blieb ihm als Erziehungs- und Zuchtanstalt in unguter Erinnerung. Er war ein störrischer Schüler, der, so ein Lehrer, wenig wisse, dafür aber selbstgefällig und anmaßend auftrete. Nach dem Abitur studierte er in München und Würzburg Philosophie und erwarb mit 23 Jahren den Doktortitel. Anschließend war er als Privatlehrer und Publizist in Berlin und Heidelberg tätig. Während dieser Zeit lernte er eine Bildhauerin kennen, die er kurz darauf heiratete. »Sie ist gebildet genug, um mich intellektuell auf weiten Strecken hin zu verstehen«, teilte er einem Freund mit.
Im Ersten Weltkrieg kritisierte er die Politik des Deutschen Reiches und siedelte aus pazifistischer Überzeugung in die Schweiz über. Hier entstand sein erstes großes Werk, in dem er das utopische Denken als zentrale Lebensäußerung des Menschen beschrieb. Ein Jahr nach Kriegsende kehrte er zurück nach Deutschland und lebte die meiste Zeit als Publizist in Berlin, wo Bertolt Brecht, Kurt Weill und Walter Benjamin zu seinen Freunden gehörten. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er ein zweites Mal. Auch diese Ehe, die nach sechs Jahren geschieden wurde, blieb kinderlos. Erst seine dritte Ehe mit einer aus Polen stammenden jüdischen Architektin, aus der ein Sohn hervorging, bestand bis zu seinem Tod.
Nach der Machtübernahme der Nazis wurde er aus politischen Gründen ausgebürgert. Er lebte vorübergehend in Paris und nahm hier am »Kongress der Antifaschisten« teil. Dann emigrierte er über Prag in die USA, wo er sein philosophisches Hauptwerk verfasste, dessen Titel noch heute ein geflügeltes Wort ist. Er sprach nur schlecht Englisch und empfand das Leben im Exil nicht als erfüllend. Zwar hatte seine Frau eine Anstellung als Architektin gefunden, dennoch geriet die Familie ein ums andere Mal in finanzielle Schwierigkeiten.
Vier Jahre nach Ende des Krieges ging der überzeugte Marxist als Professor für Philosophie an die Universität Leipzig, wo er viele Studenten mit seinen Vorlesungen begeisterte. Als die Universität Frankfurt am Main ihm ebenfalls einen Lehrstuhl anbot, lehnte er ab. In der DDR war er hochgeschätzt. Er wurde Mitglied der Akademie der Wissenschaften, erhielt den Nationalpreis und konnte sein Hauptwerk sowie andere Schriften veröffentlichen.
Erst als er die dogmatische Erstarrung des Marxismus offen kritisierte und den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn verurteilte, reagierte die SED mit Repressionen. Er wurde zum Revisionisten gestempelt und zwangsemeritiert. Einige Jahre später unternahm er eine Vortragsreise durch die Bundesrepublik. Hier erfuhr er vom Bau der Berliner Mauer, was Grund genug für ihn war, nicht mehr in die DDR zurückzukehren. Er lehrte hinfort an der Universität Tübingen und wurde als Marxist und Gegner der US-Intervention in Vietnam zu einer der Leitfiguren der Studentenbewegung, die er wohlwollend, aber auch kritisch begleitete. Mit dem bei einem Attentat verletzten Rudi Dutschke verband ihn zuletzt eine väterliche Freundschaft. Als er im Alter von 92 Jahren starb, ehrten ihn 3000 Studenten mit einem Fackelzug. Wer war’s?
Lösung Nr. 225
Beim letzten Mal fragten wir nach dem Schriftsteller Henry Miller.
Gewonnen haben:
Reinhard Bormann, Neubrandenburg
Andrea Multhaupt, Lübeck
Tatjana Jakob, Berlin
Rätselantworten per Post an: neues deutschland, Steckbrief, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, oder per E-Mail an: steckbrief@nd-online.de
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