Radikale Linke zwischen Mélenchon, Poutou und Boykott
3000 Menschen demonstrierten vor den französischen Wahlen für soziale Rechte
Seit mehreren Wochen hatten Vorbereitungstreffen im Pariser Gewerkschaftshaus stattgefunden, um am Sonnabend und damit wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale die sozialen Anliegen auf die Straße zu bringen. Dadurch sollte unmittelbar vor der ersten Runde von unten und von links außerparlamentarisch Einfluss auf die französische Präsidentschaftswahl und die weiteren gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen im Lande genommen werden. Und das zunächst einmal gänzlich »unabhängig davon, wie das nächste französische Staatsoberhaupt heißen wird«.
Getragen wurde das Vorhaben insbesondere von Kräften aus der CGT und dem linksgewerkschaftlichen Zusammenschluss Solidaires, der vor allem aus den SUD-Basisgewerkschaften gebildet wird. Der Dachverband CGT als solcher hatte sich an dem Vorhaben jedoch nicht beteiligt. Teilgenommen an den Vorbereitungen hatten besonders einige der aktivsten Einzelgewerkschaften, die sich im Widerstand gegen das umkämpfte, am 08. August 2016 in Kraft gesetzte »Arbeitsgesetz« hervortaten.
Zu ihnen zählt die Mediengewerkschaft CGT Info’Com. Diese erregte Aufmerksamkeit, als sie im Frühsommer 2016 eine Streikkasse einrichtete, was es in Frankreich normalerweise nicht gibt, und Streikenden völlig unabhängig von ihrer Organisationszugehörigkeit Unterstützung zukommen ließ. Zu dem Spektrum gehört auch die CGT beim Reifenhersteller Goodyear, aus deren Reihen acht Mitglieder im vergangenen und in diesem Jahr in Amiens Strafverfolgungen wegen einer Bossnapping-Aktion ausgesetzt waren.
Hinzu kamen SUD-Gewerkschaften etwa aus dem Handel, wo intensiv gegen Sonntagsarbeit gekämpft wird, und bei der Post sowie die anarcho-syndikalistische CNT, die »Neue Antikapitalistische Partei« (NPA) und die regionale Initiative »Picardie debout« um den Filmemacher François Ruffin. Letzterer gab im Vorjahr den ersten Anstoß für die Bildung der »Nuit debout«-Bewegung. Ruffin kandidiert im Juni für die Linkspartei des Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchons zu den Parlamentswahlen.
2000 bis 3000 Menschen wurden es letztlich, die am Sonnabendnachmittag demonstrierten. Andere potenzielle TeilnehmerInnen waren wohl durch das immense Polizeiaufgebot und die Absperrungen verschreckt, zumal im Vorfeld nicht geklärt war, ob nur eine Platzkundgebung oder doch auch eine Demonstration stattfinden könnte: Nach dem Anschlag auf den Champs-Elysées vom Donnerstag wurde das Regime des Ausnahmezustands verschärft. Zudem war der Pariser Nordbahnhof am Sonnabendnachmittag zeitweilig wegen eines Bombenalarms lahmgelegt.
Dem Zug voraus liefen rund 200 Autonome, die kurz vor dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz dortige Banken anzugreifen versuchten, worauf es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift: »Gegen Eure (Wahl-)Urnen: Unsere Freude ist nächtlich.« Yves, ein pensionierter Angestellter der Pharmaindustrie und NPA-Mitglied, meinte jedoch: »Nur eine Minderheit auf dieser Demonstration ist auch für den Wahlboykott. Eine Mehrheit hier will außerparlamentarisch Druck ausüben, wird aber gleichzeitig wählen – die deutliche Mehrheit Mélenchon, eine Minderheit den NPA-Kandidaten Philippe Poutou.«
Mickaël Waman von der CGT Goodyear kommentierte seinerseits: »Wir werten die sozialen Kämpfe aus und zählten seit Januar dieses Jahres im Schnitt täglich 250 Streik- und soziale Protestbewegungen. Nur bleiben diese örtlich zersplittert und kommen nicht um ein zentrales Anliegen zusammen, wie vergangenes Jahr beim Konflikt um das Arbeitsgesetz. Und die Presse berichtet kaum darüber.« Diese Energien gelte es nun zu nutzen und zu bündeln.
Nach dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz wurde die Kundgebung dann sehr schnell unter dem Druck der Polizei, die den Verkehr wieder rollen lassen wollte, geräumt. Ein kleinerer Teil ging als gemeinsamer Protestzug zurück zum Place de la République, wo die Demonstration ihren Ausgang genommen hatte. Dort waren ein paar Dutzend Menschen versammelt, um vor allem über die Ersetzung der autoritär-präsidialen Verfassung der Fünften Republik zu diskutieren. Wer aber eine Neuauflage der Platzbesetzerbewegung »Nuit debout« erwartet hatte, musste sie als gescheitert betrachten. Die VeranstalterInnen der Demonstration wollen nun zum 1. Mai für einen kämpferischen Pol mobilisieren.
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