Wenn Warten Leben kosten kann

Restriktionen, knappe Kassen und Ärztemangel ruinieren Polens Gesundheitswesen

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach ihrer Machtübernahme im Jahr 2015 liebäugelte die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nicht nur mit einem totalen Abtreibungsverbot, sondern auch mit einem Verbot der »Pille danach«, die vielen Polinnen eine Abtreibung ersparen würde. Im Einklang mit den Bischöfen bezeichneten einige Mitglieder der rechtsnationalen Regierung das Medikament als »gottloses und unsicheres Präparat«, welches die »seelische Gesundheit« der Frauen gefährde. Diese fühlten sich offenbar nicht gefährdet, dafür aber zu ungestümen Protesten veranlasst, die zum Ausdruck brachten, dass eine solch »frauenfeindliche« Regierung dem Untergang geweiht sei.

Spätestens als einzelne Abtreibungsgegner der konservativen Organisation Ordo Iuris allen Ernstes behaupteten, die »Pille danach« fördere die »Zügellosigkeit der Jugend«, entlud sich die weibliche Wut auf den Straßen. Doch das brachte nichts: Viele Apotheker haben das umstrittene Arzneimittel zeitweise aus dem Sortiment genommen, selbst in der vergleichsweise »unkeuschen« Hauptstadt mussten die Polinnen oft bei mehreren Apotheken nachfragen, bis sie das Präparat bekamen.

Unlängst hat Polens Gesundheitsminister Konstanty Radziwill erneut die Rezeptpflicht eingeführt. Damit hat der PiS-Politiker allerdings ein faktisches Verbot der »Pille« danach umgesetzt. Paradoxerweise kamen ihm die Gebrechen des polnischen Gesundheitswesens, die er eigentlich feierlich beheben wollte, in dieser Angelegenheit entgegen. Das Medikament muss bekanntermaßen in den ersten Tagen nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden, doch auf einen Termin beim Gynäkologen warten die Patientinnen nicht selten zwei Wochen, was sie wiederum auf den prekären Weg der illegalen Abtreibung bringt. Die Einführung der Rezeptpflicht diene dem Schutz junger Mädchen, so Radziwill im Polnischen Rundfunk, wobei er selbst gar »vergewaltigten« Frauen eine Verschreibung vorenthalten würde. Indes ergab eine Umfrage der Agentur Milward Brown, dass lediglich zwei Prozent der nach dieser Lösung Suchenden minderjährig seien.

Die Diskussion um die Pille danach ist lediglich ein Symptom tief greifender Probleme, mit denen sich das polnische Gesundheitswesen seit Jahren herumschlägt. Radziwill hat eine einschneidende Reform angekündigt, die mit den häufig monatelangen Wartezeiten bei Fachärzten aufräumen soll (Bei Chirurgen sind es gar bis zu 1400 Tagen!). Wer zeitnah behandelt werden möchte, muss eine private Sprechstunde gegen zusätzliches Entgelt in Anspruch nehmen.

Da die meisten dieser Patienten aber schon ihr Rentenalter erreicht haben, können sie sich entweder eine private Behandlung nicht leisten oder versterben bisweilen vor dem lebensrettenden Termin.

Das Problem wird sich nicht so rasch beheben lassen, denn einer der Gründe für die Warteschlangen ist der chronische Personalmangel. Auf der Suche nach besserer Bezahlung ziehen zahllose polnische Ärzte das bittere Brot des Exils vor. Rund 60 Prozent der Medizinstudenten sitzen überdies auf gepackten Koffern. In dem Zusammenhang nimmt Polen in der EU den letzten Platz ein: Durchschnittlich betreuen zwei Ärzte 1000 Einwohner. Viele Mediziner gehen darüber hinaus bald in den Ruhestand.

Die prekäre Situation verdeutlicht eine Studie der OECD, an der weltweit 44 Länder teilgenommen haben. In Polen werden demnach 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen ausgegeben, also ca. 80 Milliarden Zloty (rund 20 Milliarden Euro). Dieser Wert positioniert das mittelosteuropäische Land auf einem unrühmlichen 36. Platz, innerhalb der EU auf dem 24. Rang.

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