Gewippt oder gewagt?
Milla & Partner verteidigten ihren Entwurf des Einheitsdenkmals wider die Kolonnaden
Sie bemühten sich redlich, argumentierten empathisch, rechneten und zählten auf - indes, es blieben Zweifel, Bedenken, Skepsis.
Auf Einladung des Arts Clubs Berlin präsentierten und verteidigten im Domizil des ältesten aktiven Künstlervereins Deutschlands und Europas (über 170 Jahre), im Haus des Vereins Bildender Künstler am Schöneberger Ufer, Sebastian Letz und Johannes Milla ihren preisgekrönten und doch heftig umstrittenen Entwurf für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal vor dem wiedererstehenden Berliner Schloss. Es sekundierte Günter Jeschonnek, Regisseur und Kulturmanager, der seit 2015 die Kampagne für die Realisierung des Projektes anführt. Seinen leidenschaftlichen Einsatz für dieses speise sich aus eigenen Erfahrungen mit der DDR: In der untergegangenen ostdeutschen Republik hat er zwei Jahre Berufsverbot erlitten; 1987 wurde der Mitbegründer und Sprecher einer Oppositionsgruppe nach West-Berlin ausgebürgert.
Jeschonnek monierte, in der Presse seien in den letzten Jahren etliche Unwahrheiten und Gerüchte zum geplanten Denkmal kolportiert worden, von denen sich die Politik offenbar beeindrucken und beirren ließ. Er reflektierte noch einmal das Prozedere der Ausschreibung und die Entscheidung einer unabhängigen Jury sowie die dem Denkmal wohlgesonnenen Parlamentsbeschlüsse. Die Idee zu einem Freiheits- und Einheitsdenkmal in der Mitte Berlins sei 1998 geboren und artikuliert worden. Fast ein Dezennium verstrich, ehe 2007 der Bundestag beschloss, dass es gebaut wird. Im Folgejahr wurde der erste Wettbewerb ausgelobt - mit lediglich einer Vorgabe. Zu integrieren seien im Denkmalsentwurf zwei Sätze: »Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.«
Der 2011 gekürte Siegerentwurf von Milla & Partner habe sich unter 920 Einreichungen behauptet, so Jeschonnek, der den plötzlichen Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit wider diesen nicht verstehen kann. Die Entscheidung des Haushaltsausschusses im Bundestag im Herbst vergangenen Jahres, 18,5 Millionen für die Rekonstruktion der Kolonnaden des 1949 abgetragenen kolossalen Kaiser-Wilhelm-Denkmals zur Verfügung zu stellen, nannte er »dreist«. Denn just an jener historischen Stelle, auf der Berliner Schlossfreiheit, soll die Idee von Milla & Partner umgesetzt werden. Der urplötzliche Stopp für das im Bundestag abgesegnete Freiheits- und Einheitsdenkmal wegen »angeblich« zu hoher Gesamtkosten von 14,5 Millionen Euro werfe Fragen zum Zustand der parlamentarischen Demokratie auf. »Es gab keinen Aufschrei in der Gesellschaft.« Ein Ausschuss habe sich über den Willen des Plenums hinweggesetzt, klagte Jeschonnek.
Der Streiter für das Denkmal beharrte darauf, dass es auf dem Platze errichtet werde, wo der Palast der Republik stand, in der die »erste frei gewählte Volkskammer der DDR den Beitritt beschloss«. Das Monument sei kein Monstrum und nicht aus Beton, sondern eine leichte Metallkonstruktion, konterte er mediale Vorwürfe und Vermutungen. »Es ist auch keine Wippe, sondern eine Waage, bei der es kein Oben und Unten gibt, was gut zu unserer Gesellschaft passt.« Zudem: »Dieses kinetische Denkmal ist einmalig in der Welt.« Bis zu 1400 Menschen könne die Schale tragen.
Bevor der Architekt Sebastian Letz statische und andere bauliche Feinheiten erläuterte, kam sein Kompagnon Johannes Milla zu Wort, der zunächst einmal klarstellte, er sei nicht - wie vielfach zu lesen - Architekt, sondern »ein nicht fertig studierter Theaterwissenschaftler«. Der Stuttgarter hat den Fall der Berliner Mauer aus der Ferne verfolgt und war begeistert. Auch er bestand darauf, dass sein mit Letz ersonnenes Denkmal an dem von ihnen auserkorenen Ort aufgestellt werde. Man habe sich explizit an die Grundrisse der Kolonnaden des 1897 eingeweihten monumentalen Reiterstandbildes für Wilhelm I. gehalten, das dessen Enkel in Erinnerung an des Großvaters Reichseinigung von oben hat aufstellen lassen. Namentlich Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Kultursenator Klaus Leder widersprechend, die den Baugrund historisch kontaminiert für ein solches Denkmal erachten, meinte Milla: Eben deshalb müsse dort der friedlichen Revolution 1989 von unten gedacht werden.
Hernach stellte er die konzeptionellen Kerngedanken des Entwurfs vor: Die Menschen sollen nicht Bewunderer, sondern Bestandteil des Denkmals sein, das als ein partizipatives gedacht ist, indem es die Bürger auffordert, aktiv zu werden und miteinander zu kommunizieren. Um die Schale in Bewegung zu setzen, müssten sich mindestens 30 Menschen verständigen, die einander vermutlich fremd und von verschiedener Zunge sein werden, um vereint auf eine Seite zu treten.
Es bestehe keine Gefahr, versicherte Milla, von der 50 Meter breiten und 25 Meter tiefen messingglänzenden Schale zu purzeln; sie werde von einem filigranen Geländer gesäumt. Das Gelenk, auf dem sie ruhe, werde vor Sabotage durch ein feinmaschiges Stahlnetz geschützt sein. Für Barrierefreiheit sorge eine Rampe. Rutschunfällen werde eine Bodenbeheizung vorbeugen, die im Winter die Schale eisfrei hält. Zudem werde jene »sanft« schaukeln, maximal 1,60 Meter nach oben oder unten innerhalb einer Minute. Es folgte ein Lob der Low-Tech, die vor Cyberangriffen gefeit ist.
Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Faustisches kommt einem in den Sinn. Und man ist nicht so recht überzeugt davon, dass sich hier die Revolutionäre von ’89 gespiegelt wiederfinden. Vielleicht wäre die Schale etwas für den Freizeit- und Themenpark in Soltau?
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