Wenn die Angst vorm Steuer kommt
Ein Führerschein fürs Auto allein macht es nicht, Fahrpraxis ist wichtig - ein Bericht aus NRW
Wenn Claudia Sharif auf eine Autobahn auffahren muss, wird sie noch immer nervös. »Das Einfädeln finde ich schwierig«, sagt die 42-Jährige. Aber ansonsten laufe es ganz gut. Das ist noch nicht lange so. Ihren Führerschein hat Sharif zwar schon mit 19 gemacht - aber dann saß sie jahrelang nicht am Steuer. So lange, dass sie sich irgendwann gar nicht mehr ans Lenkrad traute. Bis sich die Lehrerin dann schließlich doch einen Ruck gab und erneut Fahrstunden nahm.
»Meine Eltern haben keinen Führerschein, darum hatte ich früher kein Auto zur Verfügung«, erzählt Sharif. Nachdem sie dann aus der Kleinstadt n die Großstadt Köln gezogen war - mit einer Straßenbahn-Haltestelle vor der Haustür -, habe sie das Autofahren auch lange nicht vermisst. Später dann sei immer ihr Ehemann gefahren, sie saß stets auf dem Beifahrersitz. »Ich habe mir das Fahren nicht mehr zugetraut«, sagt sie. »Aber das hat mich irgendwie geärgert.« Kurz vor ihrem 40. Geburtstag dachte sie sich dann: »Entweder, ich schaffe das jetzt nochmal mit dem Autofahren, oder es wird nie mehr was.« Und so meldete sie sich bei einer Fahrschule und buchte Fahrstunden.
»So etwas kommt durchaus hin und wieder vor, wenn auch nicht tagtäglich«, sagt Kurt Bartels, der Vorsitzende des Fahrlehrerverbands Nordrhein. Statistiken darüber gebe aber es nicht. Oft handele es sich bei den betreffenden Kunden um ältere Frauen, in deren Familie es üblich war, dass der Mann Auto fuhr. »Wenn der Mann dann eines Tages stirbt oder nicht mehr fahren kann, bleibt der Frau manchmal nichts anderes übrig, als da aktiv zu werden.« In anderen Fällen, wie beispielsweise auch bei Claudia Sharif, seien es Leute mittleren Alters, die lange Zeit einfach ohne Auto ausgekommen und dadurch nur selten selbst gefahren seien.
So war es auch bei Gaby Hürter-Krahl. Sie konnte nach ihrer Führerscheinprüfung vor 25 Jahren zwar einige Monate lang den Wagen einer Verwandten nutzen - aber danach ist sie nie mehr selbst gefahren. »Ich hatte kein eigenes Auto und habe mich dann damit arrangiert«, sagt die 48-Jährige. »Ich fahre mit Bus, Bahn oder dem Fahrrad, oder mein Mann fährt.« Vor einigen Jahren habe sie schließlich ernsthaft überlegt, doch noch einmal Fahrstunden zu nehmen. »Aber im Endeffekt habe ich es aus Angst dann doch nicht gemacht.« Und dabei werde es wohl nun auch bleiben, meint Hürter-Krahl: »Ich komme auch ohne Autofahren gut klar.«
Beim Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) melden sich nach Angaben eines Sprechers manchmal Menschen mit wenig Fahrpraxis, die ihre Fähigkeiten bei Fahrsicherheitstrainings auffrischen wollten. Wer allerdings jahrzehntelang nicht gefahren sei, benötige in der Regel eine individuelle Anleitung durch einen Fahrlehrer. »Der Verkehr ist heutzutage viel dichter und anstrengender als vor Jahren«, sagt Bartels, der auch stellvertretender Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände ist. »Wenn jemand lange nicht gefahren ist, traut er sich da einfach nicht mehr rein, schon gar nicht in einer Großstadt.«
Claudia Sharif war vor ihrer ersten Nachhilfe-Fahrstunde vor Aufregung richtig übel, erinnert sie sich. »Ich war nassgeschwitzt, am liebsten hätte ich kurz vorher wieder abgesagt.« Die Fahrlehrerin sei dann zum Glück sehr verständnisvoll gewesen. »Es ging ganz langsam los. Am Anfang sollte ich nur lenken, und sie hat vom Beifahrersitz aus die Pedale bedient.« Nach und nach fühlte Sharif sich sicherer.
»Autofahren verlernt man eigentlich nicht, irgendwo schlummern die Kenntnisse - man muss sie nur wieder hervorholen«, meint Bartels. Die meisten Kunden seien spätestens nach fünf Doppelstunden soweit, dass sie wieder alleine fahren könnten. So war es auch bei Sharif. »Die Fahrlehrerin meinte allerdings: Fahren Sie lieber noch ein paarmal zusammen mit Ihrem Mann«, erinnert die 42-Jährige sich. »Das habe ich dann aber nur einmal gemacht.«
Inzwischen fährt Claudia Sharif regelmäßig Auto. »Ich bin froh, dass ich das jetzt kann.« Denn bald wird sie umziehen und auf ein Auto angewiesen sein, um zur Arbeit zu kommen. Ein Ziel will die Lehrerin bis dahin aber noch erreichen: »Autobahn fahren ohne aufgeregt zu sein.« dpa/nd
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