Das Neuwahl-Gespenst geht um im Kieler Landeshaus

Schleswig-Holstein: Am Dienstag legen die Spitzengremien von CDU, FDP und Grünen fest, ob sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen

  • Wolfgang Schmidt, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich ist es paradox: Vier Koalitionen sind in Schleswig-Holstein nach der Landtagswahl vom 7. Mai rechnerisch möglich, die AfD ausgeklammert. Politisch ist aber nur noch eine drin - ein »Jamaika«-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP. Und auch das kann scheitern, wenn die Grünen-Basis nicht mitspielt. 2400 Mitglieder werden darüber entscheiden, ob im Norden »Jamaika« Premiere feiert oder ob das Land in Richtung Neuwahl schlingert. Am Dienstag legen die Spitzengremien der drei Parteien fest, ob sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen.

Für Grünen-Vormann Robert Habeck ist der Ausgang völlig offen, während sich FDP-Gegenspieler Wolfgang Kubicki weit optimistischer gibt. Dem CDU-Wahlsieger Daniel Günther ist bewusst, dass er den Grünen um Habeck und Finanzministerin Monika Heinold nicht zu viel zumuten kann, wenn »Jamaika« klappen soll. Die Grüne Jugend hat dagegen schon gemeutert, gemeinsam mit den Jusos.

Bei einem Teil der Grünen sind die Vorbehalte enorm, bei anderen sieht Habeck Lust auf »Jamaika«. Zwar gibt es positive Stimmen im Hinblick auf Modernisierungsbestrebungen von CDU-Vormann Günther. Doch eben auch große Ängste, von FDP-Profi Kubicki untergebuttert zu werden. Zudem hatten sich viele Grüne stark mit der nun abgewählten Koalition mit SPD und SSW (Südschleswigschem Wählerverband) identifiziert. Da ist ein Lagerwechsel kein Kinderspiel. Für die Bundestagswahl in vier Monaten wäre er ein Signal. Die bundesweit noch tiefer in den Stimmungskeller gerutschte SPD würde im Norden noch mehr unter Erneuerungsdruck geraten.

Trotz aller politischen Differenzen gebe es keine unüberwindbaren Hürden zwischen CDU, Grünen und FDP, betont Kubicki oft. Im Grunde sind diese Parteien zum Erfolg verdammt. Weil die FDP eine »Ampel« ausgeschlossen hat, die SPD eine große Koalition und der SSW eine Regierung mit CDU und Grünen, droht bei Misserfolg eine Neuwahl.

Ein Szenario dafür hat Kubicki schon im Kopf: »Es wäre theoretisch möglich, Daniel Günther mit der Maßgabe zum Ministerpräsidenten zu wählen, das Parlament aufzulösen und damit den Weg zu einer Neuwahl freizumachen.« In einem dritten Wahlgang bräuchte Günther nur eine relative Mehrheit. Eine Neuwahl würde die CDU und die FDP noch mehr stärken, die SPD marginalisieren und die Grünen schwächen, sagt Kubicki voraus. »So interessant solche machttaktischen Spielchen aber auch sein mögen, eine Neuwahl wäre ein Armutszeugnis für die politische Klasse und würde der Demokratie Schaden zufügen. Das kann also niemand ernsthaft wollen.«

Für Habeck wäre eine Neuwahl das Allerletzte. »Wir sind als Politiker gewählt, auch schwierige Probleme zu lösen. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann hat die politische Klasse versagt.«

Im Zweifel müsste sich dann zumindest eine Partei von ihrer »Ausschließeritis« erholen. Für die Grünen und mehr noch für den bisherigen Koalitionspartner SPD mit dem nach der Wahlniederlage unter Druck geratenen Landesvorsitzenden Ralf Stegner wäre eine Neuwahl wohl ein Fiasko. Danach käme wahrscheinlich Schwarz-Gelb, ohne weiteren Partner. Das werden Habeck und Heinold auch eindringlich ihren skeptischen Parteifreunden klarmachen.

Bevor ein Parteitag am Dienstag über Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP entscheidet, wollten die Grünen am Montag noch mit der SPD sprechen, die trotz klarster FDP-Absagen weiter von einer Koalition mit FDP und Grünen träumt. Dabei hat Stegner mittlerweile noch eine andere Baustelle: Dem Murren über seinen Führungsstil sind einige offene Rücktrittsforderungen gefolgt. Akut gefährdet ist der Landes- und Fraktionschef der SPD aber wohl nicht.

FDP-Vormann Kubicki hat für seinen Rivalen noch eine Botschaft: Möglichen Versuchen, die noch amtierende Albig-Regierung bis zur Bundestagswahl im Amt zu halten, würden FDP und CDU einen Riegel vorschieben. »Die Regierung wird die Sommerpause nicht im Amt erleben«, sagt Kubicki. dpa/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -