Glückwunsch, Jungle World - ihr Spielverderber!
Die linke Wochenzeitung wird 20. Auch für Kritiker ein Grund zum Feiern.
Lange Zeit stand auf dem Redaktionstisch der »Jungle World« eine kleine Freiheitsstatue. Als Zeichen der transatlantischen Verbundenheit. Als Erinnerung daran, dass die Welt zu komplex ist, um nur in den USA den Hort allen Übels zu sehen. Ironisch griff man so auch die Vorwürfe der politischen Gegner auf. Jede Erklärung scheint möglich bei einer linken Wochenzeitung, der regelmäßig Linke das Linkssein absprechen und die einst in ihrem Onlineshop Jutebeutel mit der Aufschrift »Wer braucht schon Freunde?« verkaufte. Ein Zeitungsprojekt, dass seit seiner Gründung gegen Verkürzungen, Verdrängung und faule Bündnisse anschreiben wollte und dem dabei oft »Verrat« nachgesagt wurde.
Wo sich die Freiheitsstatue heute befindet und ob ihr Verschwinden mit Trumps Amtsantritt zusammenhängt, weiß niemand. Knapp eine Woche vor der Feier zum 20. Geburtstag sieht man lediglich eine Glocke und den »Erich-Mühsam-Pokal«, den Preis eines Fußballturniers unter Berliner Journalisten, auf dem Tisch. Wenige Mitarbeiter sind in der Kreuzberger Redaktion, die sich im vierten Stock eines alten Backsteinhauses über einem Teppichhändler befindet. Frühere Kollegen erstellen die Jubiläumsausgabe.
Die Geschichte beginnt 1997 in der Redaktion der Tageszeitung »Junge Welt«, dem ehemaligen Zentralorgan der FDJ. Die »Jungle World«-Mitbegründerin Elke Wittich beschreibt die Atmosphäre in einem Blogeintrag als miefig: »abgenutztes Linoleum-Imitat, Ostzonenverherrlichung, scheußlichster Kaffee«. Ein Kollege übergab ihr ungefragt ein Autogramm des ehemaligen Stasi-Chefs Erich Mielke, im Sportressort stand ein Sessel von Erich Honecker. »Politmachos« prägten den Alltag, und wer am lautesten schrie, hatte Recht.
Am rassistischen deutschen Mob der Nachwendejahre sowie am Nahostkonflikt schieden sich dann die Geister in der damaligen »Junge Welt«-Redaktion. Bald standen sich eine linksradikale Strömung und »Nationalbolschewisten« (Formulierung der späteren »Jungle World«-Gründer) gegenüber. Als der Chefredakteur Klaus Behnken entmachtet werden sollte, begann die Mehrheit der Belegschaft einen zweiwöchigen Streik, der mit der Entlassung der meisten Redakteure endete. Beobachter weisen daraufhin, dass der Bruch jener Tage nicht ganz so glatt verlief, wie im Rückblick von den Beteiligten beschrieben. Manche Vertreter der verfeindeten Fraktionen verfassten etwa laut dem Journalisten Peter Nowak vor der Spaltung auch gemeinsam Texte, wo sowohl gegen »Traditionskommunisten« wie auch »Autonome« ausgeteilt wurde.
Ohne Produktionsmittel galt es dennoch, einen journalistischen Neustart zu wagen. Die ersten Ausgaben nach dem Streik entstanden in der Privatwohnung des geschassten Chefredakteurs, in der einst die Band Ton Steine Scherben eine Wohngemeinschaft hatte. Geld gab es keines, die Computer waren geliehen. Der Name entstammte einer Festplattenbezeichnung der »Jungen Welt«. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Optik sollte sich verändern: »Wie César Luis Menotti es für den linken Fußball formulierte: Es geht nicht nur um den Erfolg, sondern auch um die Schönheit des Spiels und den Spaß daran«, erklärt der Mitbegründer und ehemalige Layouter Heiko von Schrenk.
Die Arbeit verlief nicht stressfrei. »Das Leben fand fast ausschließlich in dem Dreieck Redaktion, Kneipe, Schlafen statt.« Nach einem Jahr waren alle ausgelaugt, statt individuellem Urlaub gab es aber eine Kollektivreise nach Dänemark. Die erste Auslandsausgabe war das Ergebnis. Noch im neuen Jahrtausend schickte mancher Kollege handgeschriebene Seiten per Fax, doch die Technisierung schritt voran. Heute plant die »Jungle World« eine Mobilapp. »Wir arbeiten stets an unserer eigenen Professionalisierung«, sagt Redakteurin Federica Matteoni. Für die Zukunft wünsche sie sich noch mehr »Unternehmenslogik statt WG-Atmosphäre«. Vielleicht würde es bei den Verkäufen helfen: Die Arbeit im 15-köpfigen Kollektivbetrieb ohne Chefredaktion hat ihren Preis. »Alle Beteiligten kommen immer wieder an ihre wirtschaftlichen Grenzen«, erklärt Geschäftsführerin Irene Eidinger. Die Auflage bleibt mit rund 16 000 Ausgaben zumindest stabil.
Die »Jungle World« kritisiert aus der historischen Erfahrung dezidiert Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus. Dadurch wird sie als »antideutsch« wahrgenommen, was früher so etwas wie »Schmuddelkinder« bedeutete und heute vor allem mit faden Sexpartys und einer Vorliebe für schlabbrige Burger assoziiert wird. »Wir wollten nie für eine Szene oder politische Gruppe sprechen«, sagt dagegen Federica Matteoni. Das Label komme eher von außen, viele junge Antideutsche seien mittlerweile sogar enttäuscht, weil bestimmte Positionen nicht im Blatt vertreten werden. Der Platz zwischen den Stühlen sei stets das Ziel gewesen, sagt sie.
Das Konzept der Zeitung mögen dennoch vor allem ideologiekritische Studenten aus Berlin, Hamburg und Leipzig: modernes Design, Popkultur, Comics, Antifaschismus. Mit Veranstaltungen im Berliner Club »about blank« und der Hauskneipe »Laidak« vertritt man zudem glaubhaft eine hedonistische Lebenshaltung, die sich von einer DDR-Schrebergartenkultur und vom Yuppie-Fairtrade-Shopping unterscheidet. Der gemeine Linke, der sich mit seiner weitgehenden Machtlosigkeit nicht abfinden will und deswegen mal auf Parteien, mal auf soziale Bewegungen, mal auf militante Bezugsgruppen und mal auf ausländische Guerillas seine Hoffnungen projiziert, fühlt sich stattdessen genervt. Schreibstil und Polemik der »Jungle World« werden von ihm gelegentlich als Arroganz und Klugscheißerei ausgelegt. Autoren und Aktivisten warnten 2003 in einem an die Zeitung gerichteten offenen Brief vor dem »Habitus des besserwisserischen Ideologieproduzenten«.
Auf der Couch in der Redaktion steht ein Schild mit der Aufschrift »Müllabladen verboten«, darüber, an der Wand, hängen alte Plakate von Diskussionsveranstaltungen, »Kriegsrat« und »Kriegsrat II«. Seit ihren Anfängen hatte die »Jungle World« ein Händchen für Skandale, als Diskussionsteilnehmer, aber auch als Diskussionsobjekt. Ein Höhepunkt ist der »Bellizismus«-Vorwurf, demzufolge das Wochenblatt Kriegseinsätze im Ausland, speziell in Irak und Afghanistan, unterstützen würde. »Fanta statt Fatwa« lautete eine vielzitierte Überschrift. »Wir haben natürlich nicht zum Krieg aufgerufen, sondern nur die Friedensbewegung kritisiert«, erinnert sich Geschäftsführer Stefan Rudnick. Doch viele Linke lasen die Texte als Kriegspropaganda und witterten die Aufgabe von staatskritischen und antikapitalistischen Positionen. Die Folge: »ökonomisch schwierige Zeiten«.
2007 ein weiterer Eklat: Anlässlich der Proteste während des G8-Gipfels in Heiligendamm verfasste ein damaliger Ressortleiter der »Jungle World« einen Gastkommentar in Axel Springers konservativer »Welt«. »Die Autonomen waren von Anfang an auf Gewalt aus«, leitete der Text provokant ein und demontierte im folgenden die gesamte in Rostock versammelte Linke. Für manche war das der letzte Beweis für den Übergang einer antideutschen Position in neokonservatives Denken. Im Gegensatz zur ehemals antideutschen Zeitschrift »Bahamas«, die mittlerweile wohl wirklich diese Wandlung vollzogen hat, bemühte sich die »Jungle World« jedoch weiter um Pluralität, zumindest in einem gewissen Rahmen. »Eine Debattenzeitung in dem Sinne, dass bei uns alle Positionen zu Wort kommen, sind wir nicht«, stellt auch Geschäftsführerin Irene Eidinger klar. Und selbst als ideologiekritische Zeitung kann man manchmal ideologisch sein: »In bestimmten Punkten, was den Nahostkonflikt betrifft, sind unsere Positionen möglicherweise festgefahren«, sagt Redakteurin Matteoni. »Trotzdem steht die Redaktion dahinter.«
Die Linke von 2017 hat jedoch andere Zwickmühlen als früher und Ratlosigkeit ist eine gemeinsame Erfahrung. Ob nun der globale Aufstieg der Rechten, der schleichende Zerfall der EU, ob »Critical Whiteness«, Syrien, NSU, IS oder Fakenews – die einzige Sicherheit: »Es bleibt kompliziert.« Auch bei der »Jungle World« gibt es dabei interne Auseinandersetzungen. Ein jüngstes Beispiel sind die Übergriffe der Kölner Silvesternacht, die in allen Redaktionsstuben Deutschlands hitzige Debatten auslösten. Das Kollektiv fand jedoch einen Umgang damit: »Wir konnten unsere Positionen produktiv bearbeiten«, sagt Matteoni. Bei der im Zuge der Didier-Eribon-Debatte aufgekommenen Frage nach der Rolle der arbeitenden, prekären Masse in Deutschland gebe es ebenfalls keine einheitliche Meinung. Redaktionelle Vielfalt muss auch nichts Schlimmes sein. »Unsere Debattenkultur hat sich durch den gewachsenen Frauenanteil verbessert.«
Generell scheint: Die strikten Schablonen der 1990er Jahre sind für das Verständnis der aktuellen Konflikte und die politische Identitätsbildung nur noch bedingt brauchbar. Undogmatische Postautonome, die sich nicht mehr in Szenestreitereien aufreiben wollen und doch auch mit der »Jungle World« aufgewachsen sind, haben längst an Einfluss gewonnen. »Die Debatten laufen heute anders«, sagt Matteoni. Es gibt keine aktuellen linken Konflikte mit derart großem Spaltungspotenzial, dafür neue Widersprüche und einen in der Türkei inhaftierten Ex-Kollegen, Deniz Yücel. »In dieser Flut müssen wir uns orientieren.«
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