Ein Kreuz mit dem Kreuz
Anmerkungen zur Schlosskuppeldebatte
Die Würfel sind gefallen: Die Schaukelschale, das große Demokratiespielzeug vor der Westfassade des Humboldt-Forums alias Berliner Schloss, ist beschlossen. Müssen wir also befürchten, dass in einigen Jahren radikale Opponenten dessen, was sie »das System« nennen, nämlich das grundgesetzliche, die riesige Wippe besteigen, um sie ins Wanken zu bringen und dergestalt ihren Machtanspruch sinnfällig zu bekunden? Eine Polizeiwache wird zu stationieren sein, um dem Missbrauch zu wehren, das wird nicht immer gelingen, und irgendwann wird man die überlastete Wippmechanik ausschalten müssen; dann steht die Schale still, und die Demonstranten versammeln sich in ihrer Mitte. Daran gehindert, werden sie Farbbeutel gegen die frisch erneuerten Sandsteinskulpturen werfen, und nur eine Verstärkung der Polizeipräsenz sowie eine permanente Kameraüberwachung aller Passanten und Besucher wird ihrem Treiben Einhalt gebieten, falls die Letztere nicht am Widerstand des Senats scheitert. Es geht doch nichts über Riesenspielzeuge für 15 Millionen Euro!
Die Wippe, an der das Prestige einer Parlamentsentscheidung hing (Prestige geht immer vor Sinn), ist beschlossen, der ZWEIFEL aber, den die Direktoren des Humboldt-Forums der von Franco Stella entworfenen und gebauten Ostseite des Bauwerks mit meterhohen Buchstaben applizieren wollten, ist, mit Erfolg, auf den Widerstand des Architekten gestoßen. Wem sollte der so dokumentierte Zweifel gelten? Etwa dem Kreuz auf der von August Stüler entworfenen Kuppel, die der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV., durchdrungen von dem Gottesgnadentum seiner Herrschaft, dem Westportal des Schlosses von 1844 an aufsetzen ließ?
Friedrich I., der erste Schlossbauherr, hatte hier einen weltlichen Kuppelturm vorgesehen und enorme Mauern dafür einziehen lassen; sein sparsamer Sohn, Friedrich Wilhelm I., setzte ein Zeichen, indem er auf diese Mauern statt des Turms einen das ganze Schloss versorgenden Wasserbehälter stellen ließ. Erst sein Ururenkel, auf eine Demonstration gegen den Zeitgeist erpicht, kam auf den Gedanken, über Eosanders gewaltiges Portal eine Kapelle zu setzen. Was er von Stüler auf ingeniöse Weise bauen ließ, war keine Stätte der Frömmigkeit, sondern eine staatsideologische Selbstvergewisserung, die Inanspruchnahme Gottes für eine Herrschaftslegitimation, die ihm die Berliner, als die Kuppel gerade unter Dach und Fach war, zu bestreiten geneigt waren: indem sie im März 1848 im Schlosshof für die Einsetzung einer Verfassung demonstrierten. Der Übereifer eines Kommandanten löste ein Blutbad und damit die Revolution aus.
Ein Jahr später trug eine Delegation der Frankfurter Nationalversammlung demselben König die deutsche Kaiserkrone an; auf der Basis einer die Menschen- und Bürgerrechte garantierenden Verfassung sollte er das dynastische Oberhaupt des vereinigten Deutschlands werden. Aber Friedrich Wilhelm sah darin eine Kränkung seiner göttlichen Berufenheit und schlug den »Reif aus Kot und Letten« aus. Zur selben Zeit setzte er seiner Gottberufenheit die Krone auf, indem er der Kapellenkuppel eine Laterne gab, deren kronenartiger Helm von acht Cherubim getragen und von dem Kreuzeszeichen übergipfelt wurde. Als die Kapelle fünf Jahre später fertig war, umstanden riesige Prophetenfiguren eine Kuppelbasis, die von Bibelsprüchen umrahmt war. Nach vier weiteren Jahren wurde der wahnsinnig gewordene Regent in den Ruhestand versetzt.
Und dieser unchristliche Aufsatz, dessen Wiederherstellung in die Empfehlungen der im Jahre 2000 berufenen Expertenkommission nicht einbezogen war, wird dem unfrommen Berlin nun ein zweites Mal beschert, nachdem ein von der schwarz-gelben Regierungsmehrheit getragener dritter Bundestagsbeschluss ihn 2007 für den Wiederaufbau bindend festgesetzt hatte. Die neue Kuppel wird aus Spenden, nicht aus Steuermitteln finanziert, und was für sie spricht, ist die Genialität der beiden Architekten, August Stüler und Albert Schadow, denen ein die Innenstadt übergipfelndes Meisterwerk der Proportion und Dekoration gelang, maßvolles Gegengewicht zu der überbordenden Plastizität des Eosanderschen Triumphtors. Stülers und Schadows Turm nahm die Kuppelmotive der beiden Kirchen des Gendarmenmarkts und der an das römische Pantheon angelehnten Hedwigskirche auf und wirkte ihrerseits auf zwei spätere Kuppeln ein, die erst durch ihren veränderten Neubau nach der Kriegszerstörung formale Vollendung gewannen: die Kuppel des Doms und die des Reichs- bzw. Bundestags. Es ist das Wesen großer Architektur, die Zwecke und Intentionen, die ihr zugrunde liegen, zu überbieten, sie, im Hegelschen Dreifachsinn, in und durch Form aufzuheben, und wenn solche Intentionen seit neunundneunzig Jahren ins Historische entrückt und jeder aktuellen Wirksamkeit enthoben sind, dann ist ein Wiederaufbau aus städtebaulich-ästhetischen Gründen auch nach einem Totalverlust gerechtfertigt.
Das Kreuz auf dieser monarchieapologetischen Kuppellaterne bietet allerdings eine besondere Schwierigkeit. Denn es ist als Merkzeichen nicht nur der christlichen Religion, sondern als Kennzeichnung christlicher Kirchenräume eben nicht ins Historische aufgehoben, sondern in lebendiger Geltung. Darum mussten die DDR-Instanzen beim Wiederaufbau des im Staats-, nicht im Kirchenbesitz befindlichen Hohenzollern-Doms gegenüber vom alten Palast der Republik zwei Kreuzeszeichen zulassen, die sie nicht vorgesehen hatten: ein schlichtes, inzwischen töricht ausgetauschtes Metallkreuz auf der dem Volkskammertrakt zugewandten Südseite des Doms und zu Häupten der Kuppellaterne ein Kreuz, das deren architektonischer Neufassung nicht entsprach.
Kreuze markieren gottesdienstlich genutzte Räume, unter der neuen Schlosskuppel aber wird kein solcher Raum sich befinden - ist also das Kreuzeszeichen auf der Laterne zulässig? Die Frage ist umso berechtigter, als es sich bei dem Kreuz des reaktionären Romantikers auf dem Königsthron um einen obrigkeitlichen Missbrauch des Religionszeichens handelte. Just dieser Missbrauch aber ist seinerseits seit neunundneunzig Jahren ins Historische abgesunken, und eben deshalb mag Stülers Kreuz als ästhetisch integrierter Laternenschmuck an seine vormalige Stelle treten. Es ist auch in seiner Erneuerung historisch geworden wie die preußischen Adler und Trophäen an den Fensterverdachungen und Portalumrahmungen des alt-neuen Schlosses, es ist das sinnfällige Denkzeichen eines königlichen Irrtums.
Horst Bredekamp hat die Frage nach der Zulässigkeit des Kreuzes auf der Kuppel eines völlig weltlichen Gebäudes mit dem Hinweis abgewehrt, der Verzicht darauf bedeute einen späterem Bewusstsein entspringenden korrigierenden Eingriff in einen als reproduktiv definierten Wiederaufbau. Er statuierte die Unzulässigkeit einer solchen Modifikation am Beispiel der Veränderung, die die DDR als der staatliche Bauherr dem Schlossportal V bei dessen Einbeziehung in das Staatsratsgebäude von Korn und Wogatzky auferlegt hatte; das preußische Wappen mit Adler und Krone wurde damals ersetzt durch ein formgerechtes Schild mit den vergoldeten Baudaten 1701 - 1963. Das Argument, scheinbar schlüssig, wirkt fadenscheinig, wenn man bedenkt, dass solche Eingriffe unter den Auspizien neuer Nutzungen schon nach wenigen Jahrzehnten selbst Denkmalcharakter annehmen. So auch beim Wiederaufbau der Dresdner Semperoper, als man in der dem Opernplatz zugewandten Exedra das große A des Bauherrn König Albert wirkungsvoll restaurierte, doch im Innern über den königlichen Logen die sächsische Krone doch nicht erneuern wollte. Der Architekt ließ sich eine Phantasiekrone einfallen; die kaum merkliche Abweichung ist inzwischen längst denkmalschutzwürdig.
Dem Triumvirat an der Spitze des Humboldt-Forums, das sich neuerdings dudenwidrig ohne Bindestrich schreibt, müssen selbst Zweifel an der Stichhaltigkeit der Bredekampschen Defensivposition gekommen sein. Sie hofften, der aufbrandenden Debatte durch die Anbringung des Wortes ZWEIFEL entgegnen zu können, das sich 2005 in riesigen Leuchtlettern dem Abriss der Palastruine entgegengestellt hatte. Franco Stella hat sich dagegen aufgelehnt und recht daran getan; Architekten müssen spätestens dann aufhören zu zweifeln, wenn sie anfangen zu bauen.
So wird die Schlosskuppel von dem Kreuz des irregeleiteten Monarchen gezeichnet sein, und ein türkischstämmiger Berliner Taxifahrer hat mich über dies Faktum beruhigt. Natürlich, sagte er, gehöre ein Kreuz auf die Kuppel, Deutschland sei doch ein christliches Land. Ein Berliner aus Tiergarten gab leserbriefschreibend zu bedenken, dass das Kreuz heute für ein weltoffenes Christentum stehe, »das andere Religionen und Kulturen maximal duldet«. Er hat recht, obschon Friedrich Wilhelm IV. das anders gesehen hätte, aber man muss bei dem Kuppelkreuz ja nicht dauernd an ihn denken. Den weitestreichenden Grund, die Kreuzessignatur auf dem neuen Palast der Republik anzunehmen, nannte vor Jahren in einem Berliner Vortrag der keiner christlichen Kirche angehörende französisch-deutsche Publizist Alfred Grosser, als er sagte, was ihn für das Christentum einnehme, sei die Tatsache, dass es die einzige Religion sei, die den leidenden, den gemarterten Menschen ins Zentrum ihrer Botschaft stelle. Das Kreuz, wie immer missbraucht, steht, auch auf der Kuppel des Humboldt-Forums, eben dafür.
Friedrich Dieckmann, Jahrgang 1937, ist Schriftsteller. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher »Luther im Spiegel. Von Lessing bis Thomas Mann« und »Kulturnation und Nationalkultur. Von alten und neuen Herausforderungen«.
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