28 Mal »angemessen« vertagt
Das Bundesverfassungsgericht überlässt den Streit über die Ehe für alle dem Parlament
Das Bundesverfassungsgericht hat viel für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben getan. Dieses Mal wollten sich die Richter offenbar heraushalten und lehnten das Ansinnen der Grünen ab, den Rechtsausschuss zu zwingen, ihren Antrag zur Öffnung der Ehe für alle noch vor der Bundestagswahl ins Plenum zu bringen. Dafür sieht Karlsruhe keinen Grund. Es gebe »keine Pflicht, über sämtliche vorliegenden Gesetzesvorhaben innerhalb einer Legislaturperiode abschließend zu entscheiden«. Anträge müssten lediglich »in angemessener Frist« entschieden werden.
Der grüne Gesetzentwurf liegt dem Rechtsausschuss seit 2015 vor. Er wurde mehrfach beraten, auch Experten dazu gehört, nur abgestimmt wurde nie. Den inhaltsgleichen Anträgen der LINKEN und des Bundesrats ergeht es genauso.
In der Tat, weder das Grundgesetz noch die Geschäftsordnung des Bundestages machen konkrete Vorgaben, wie lange ein Antrag in einem Ausschuss hängen darf. Allerdings: Wenn nach zehn Sitzungswochen nichts passiert, gilt das im Parlament als lang. Und dann dürfen Abgeordnete sanften Druck ausüben und einen »Bericht« über den Bearbeitungsstand anfordern. Es ist dennoch normal, dass am Ende der Legislatur Anträge »hinten runter fallen«. So ist denn die Home-Ehe nicht das einzige Thema, das lange in einem Ausschuss schmort. Dieses Schicksal teilen andere Anträge, wie einer der Grünen zum Familiennachzug von Flüchtlingen oder der LINKEN zum Mindestlohn. Aber dass ein Antrag insgesamt 28 Mal vertagt wird, das ist denn doch außergewöhnlich.
Begründung war stets: weiterer Beratungsbedarf. In Wahrheit sind sich die Koalitionsfraktionen über die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare schlicht nicht einig. Die SPD wäre dafür, die Union dagegen. Doch statt Farbe zu bekennen - und den Antrag abzulehnen -, versenkt man ihn lieber im Ausschuss. Andere Themen, bei denen es durchaus Beratungsbedarf gäbe, werden hingegen in wenigen Wochen durchs Parlament gepeitscht, etwa die Reform bei der Parteienfinanzierung, für die am Donnerstag das Grundgesetz geändert werden soll.
Der Grünen-Politiker Volker Beck zeigte sich »enttäuscht« über die Ablehnung der Eilanträge. Dadurch würden die Rechte der Opposition geschwächt. Bleibt ihm nur noch die Möglichkeit, die SPD ein bisschen zu piesacken, indem er sie auffordert, im Rechtsausschuss mit der Opposition für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe zu stimmen. Die SPD habe eine völlige Gleichstellung versprochen. »Das muss sie jetzt liefern«, erklärte er.
Beck dürfte kaum damit rechnen, dass die Sozialdemokraten das wirklich tun werden. Sie überlassen das Thema lieber weiter den Grünen zur Profilierung, die es gerade erst zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung erklärt haben. Natürlich könnte die SPD zum Ende der Großen Koalition auch einmal etwas Ungewöhnliches tun - und Becks Werben erhören. Sie würde damit eine überfällige Modernisierung der Gesellschaft herbeiführen und der Union ein wenig die Zähne zeigen. Das hätte schon Charme, könnte sogar nützen im Wahlkampf, aber für »Verrücktheiten« dieser Art ist die SPD nicht bekannt.
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