Weitere Abschiebungen nach Afghanistan - über Umwege

Zeitungsbericht: Asylbewerber nach Oslo ausgeflogen und von dort nach Kabul gebracht / SPD-Parteitag will vorübergehenden kompletten Stopp

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Die Bundesregierung lässt weiter abgelehnte Asylbewerber ins Kriegsland Afghanistan bringen - über einen Umweg. Das berichtet die »Süddeutsche Zeitung« und bezieht sich auf einen Fall, in dem Mitte Juni Asylbewerber nach Oslo ausgeflogen wurden, worauf die norwegischen Behörden Afghanen, darunter auch Kinder, nach Kabul abgeschoben hätten. Die Flüchtlinge waren aufgrund der Dublin-Regeln nach Norwegen zurückgeschickt worden, wo sie bereits Asyl beantragt hatten - was dort aber mit sehr geringen Aussichten verbunden ist.

Das Blatt zitiert die fraktionslose bayerische Landtagsabgeordnete Claudia Stamm mit den Worten, das Vorgehen sei zwar rechtlich nicht zu beanstanden, aber politisch »eine Farce«. Die Sprecherin des Flüchtlingsrats Mecklenburg-Vorpommern, von wo die meisten der betreffenden Flüchtlinge ausgewiesen wurden, kritisierte, die Bundesregierung mache sich »unglaubwürdig, wenn sie die Abschiebung nach Afghanistan von Deutschland aus aussetze, dann aber über diese Kettenabschiebung ermögliche«. In Schwerin verweist die Landesregierung auf die Autonomie der einzelnen europäischen Länder in Abschiebefragen. Die Entscheidung über »eine mögliche Abschiebung nach Afghanistan ist abschließend durch den zuständigen Mitgliedstaat zu treffen und liegt nicht im Einflussbereich Deutschlands«, wird ein Sprecher von der »Süddeutschen« zitiert.

Derweil hat sich die SPD hat sich bei ihrem Bundesparteitag in Dortmund überraschend für einen vorübergehenden kompletten Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen. Eine Mehrheit der Delegierten votierte am Sonntag dafür, folgende Passage ins Wahlprogramm aufzunehmen: »Da die Sicherheitslage in Afghanistan kein sicheres Leben zulässt, werden wir bis auf Weiteres keine Abschiebungen nach Afghanistan durchführen.« Die Antragskommission beim Parteitag hatte eine allgemeinere Formulierung vorgeschlagen - ein Nein zu Abschiebungen in Kriegsgebiete, aber ohne ausdrückliche Nennung Afghanistans. Diese Linie setzte sich jedoch nicht durch.

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Die beschlossene Haltung geht nun über das hinaus, was die Bundesregierung kürzlich verfügt hatte. Nach dem schweren Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Anfang Juni angekündigt, vorerst nur bestimmte Personen nach Afghanistan zurückzuschicken, bis eine Neubewertung der Sicherheitslage vorliege. Zurück müssen demnach weiter Straftäter und »Gefährder« - also Menschen, denen die Sicherheitsbehörden einen Terrorakt zutrauen - und Menschen, die »hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitätsfeststellung« verweigern. In Wahrheit hat die Bundesregierung Abschiebungen lediglich verschoben - und dies nicht aus Sicherheitsbedenken, sondern weil die bei einem Anschlag zerstörte deutsche Botschaft in Kabul bisher nicht wieder arbeitsfähig ist.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich seit Jahren verschlechtert, auch wenn die Bundesregierung bis vor Kurzem etwas anderes suggeriert hat. Das zeigen Zahlen der UN-Mission UNAMA. Demnach ist die Zahl der Toten und Verletzten durch Angriffe der Taliban und anderer Gruppen immer weiter gestiegen, im Land gibt es immer mehr Binnenflüchtlinge. Und fast das gesamte Land ist von der Gewalt betroffen: in 29 von 34 afghanischen Provinzen gab es 2016 »erzwungene Vertreibungen«.

Menschenrechtsorganisationen und die Linkspartei hatten die Festlegung der Bundesregierung als extrem vage kritisiert und fürchten, dass die Abschiebepraxis unverändert weiter geht. Sie fordern seit langem, Abschiebungen nach Afghanistan vollständig zu beenden. Agenturen/nd

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