Malochen jenseits des Rampenlichts

In einer Porträtserie stellen wir wenig bekannte Theaterberufe vor

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

In seinen jungen Jahren arbeitete Erich Kästner als Theaterkritiker. Vor allem nach seinem Umzug von Leipzig nach Berlin am Ende der zwanziger Jahre betrieb er diesen Beruf, den er nach eigenem Bekunden »auf beinahe schändliche Weise liebte«. Am 13. Januar 1929 schrieb er in der »Neuen Leipziger Zeitung«: »Können Sie sich vorstellen, wie das ist: fast jeden Abend ins Theater zu gehen? Berlin hat etwa dreißig Bühnen. Und wenn jede von ihnen im Monat nur eine Premiere hat, ist schon jeder Abend ausgefüllt. An manchen Tagen verstopft sich das Programm geradezu. Dann liegen für drei oder vier Theater Billets auf meinem Schreibtisch.«

Heute übersteigt die Zahl der Theater in Berlin den Wert von 1929 um das Fünffache. Wer soll da den Überblick behalten? Der Gestus des Kritikers lässt eine solche Frage eigentlich nicht zu. An Premierenabenden ereignet sich oft ein in dieser Hinsicht aufschlussreiches Spiel: Häufig erkennt man die Kritiker bereits an der Garderobe, wo sie den Bediensteten einen Plausch über das Stück, das »grässliche Werbeplakat« oder die »ohnehin unfähige Dramaturgin« aufdrücken; die Modulation der Lautstärke stets darauf ausgerichtet, möglichst vielen »einfachen Zuschauern« den eigenen Kenntnisreichtum zu zeigen. Gleiches geschieht bisweilen mit den Kartenabreißern, was die Einlassprozedur ins Stocken und den Abenddienst ins Schwitzen bringen kann.

Die Presseabteilungen platzieren Kritiker meist in den mittleren Reihen des Parketts, von denen aus der Blick auf Bühne, Requisiten, Kostüme und Licht noch gerade eben gut ist. Bevor sich der Vorhang hebt, wechseln Kritiker gerne noch ein paar Worte unter Kollegen über den aktuellen Gossip im Kulturbetrieb. Aber auch, wenn sie einmal verstreut sitzen, lassen sich die Kritiker leicht ausmachen. Man erkennt sie an ihren ziegelsteindicken Spiralblöcken, die sie während der Vorstellung beim Anfertigen von später unmöglich noch zu entziffernden Notizen in die Höhe recken wie Pokale. Wer genau hinhört, vernimmt manchmal sogar das genervte Schnaufen oder das entzückte Jauchzen der urteilenden Instanz.

Das Dargebotene kann noch so schlecht gewesen sein, am Schluss verweigern in aller Regel allein die Kritiker den Applaus. Offiziell, weil sie neutral wirken müssen; tatsächlich, weil sie sich als über den Dingen schwebend präsentieren wollen. In ihren Texten spielen anschließend Autorinnen, Schauspieler, Bühnenbildnerinnen und Regisseure eine Rolle, dann und wann auch die Intendanten, die diesen großen Mist zugelassen oder dieses Meisterwerk ermöglicht haben. Fast nie würdigen Theaterkritiken die Arbeit derer, ohne die kein Autor vom Stückeschreiben leben, keine Schauspielerin im Beifall baden, kein Bühnenbildner seine Kreativität ausleben, keine Regisseurin die Lorbeeren einheimsen, kein Intendant sich auf die Schulter klopfen und keine Kritikerin vorab ihre mutmaßliche Geistesgröße performen kann.

Diese Zeitung ist da keine Ausnahme. Das Publikum möchte eben vor allem etwas über das Geschehen auf der Bühne erfahren, womit der stete Blick hinter die Kulissen schwer vereinbar scheint. Nun ist, zumindest kalendarisch, längst der Sommer ausgebrochen. Gerade ging die Spielzeit 2016/17 zu Ende, und noch einmal wurden sie gefeiert, die Alphatiere des Theaters, Claus Peymann und Frank Castorf, Volker Ludwig und Gisela Höhne. Die Zahl der Premieren hält sich sogar im bereits von Erich Kästner als Sehnsuchtsort der Theaterfreaks beschriebenen Berlin bis Ende August in Grenzen. Was liegt da näher, als dieses Vakuum zu nutzen, um das Spotlight (zu Deutsch: die Scheinwerfer) in Richtung derer zu drehen, die sonst abseits des Rampenlichts malochen?

Der Deutsche Bühnenverein listet auf seiner Homepage gut 60 Berufe auf, die am Theater gebraucht werden. In den kommenden Wochen stellen wir im Rahmen einer Serie in loser Folge einige von ihnen vor. Dabei stehen immer die porträtierten Menschen im Mittelpunkt, die an Berliner Theatern engagiert sind. Ihr Werdegang und ihr Arbeitsalltag sind es, entlang derer sich das Theater als Mikrokosmos entfaltet, bei dem viele Rädchen und Schräubchen ineinander greifen müssen, damit künstlerische Leitung und Ensemble am Ende zur Rampe treten und den Jubelsturm empfangen können.

Die Serie behandelt Fragen, deren Beantwortung selbst erfahrenen Theatergängern aller Sparten noch Neues offenbaren dürfte: Warum sind Dramaturgen so wichtig? Welchen Herausforderungen stellt sich ein Beleuchter? Was genau baut ein Bühnenbauer? Warum braucht es Regieassistenten? Unter welchem Stress steht eine Garderobiere? Worin unterscheidet sich die Theaterpädagogik am Erwachsenen- von der an einem Jugendtheater? Und was zur Hölle treibt eine Choreologin den lieben langen Tag? Was ein Kritiker macht, wenn er sich am Schreibtisch nicht gerade in Hymnen und Vernichtungen übt, das muss wiederum nicht mehr gesondert aufgeschrieben werden. Dafür genügt die nochmalige Lektüre dieses Textes - oder der Besuch einer beliebigen Theaterpremiere, von denen es in Berlin ab dem Spätsommer wieder beinahe täglich mehrere geben wird.

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