Kein Chronist der der DDR

Regisseur Matti Geschonneck und Schauspieler Sylvester Groth über ihren neuen Film »In Zeiten des abnehmenden Lichts«

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.

In einer Funktionärsvilla wird am 1. Oktober 1989 der 90. Geburtstag des Funktionärs Wilhelm Powileit gefeiert. Matti Geschonneck inszenierte die Adaption von Eugen Ruges Familienroman um das Schicksal einer deutsch-russischen Familie, Sylvester Groth spielt Powileits Sohn, einen Historiker, dem die Last der Erfahrung von Moskauer Exil, Lagerhaft und Aufbau des Sozialismus ins Gesicht geschrieben steht.

Herr Geschonneck, der Film feierte im Zoo-Palast Premiere, wo ihr Vater Erwin 1975 mit »Jakob, der Lügner« den ersten Film der DEFA auf der Berlinale präsentierte. War dies für Sie ein besonderer Moment?
Geschonneck: Ich hatte kaum Zeit, über Familientraditionen nachzudenken. Der Film ist erst wenige Tage vor der Berlinale technisch abgenommen worden. Wir haben uns darauf eingelassen, weil der Film zur Berlinale gehört. Der Zoo-Palast als Symbol des alten Westberlins war der ideale Ort für die Premiere

Für Sie ist es erste Berlinale, Herr Groth?
Groth: Meine Teilnahmen wurden von der SED verhindert. Die polnische Regierung hatte 1983 Einspruch gegen die Aufführung der Verfilmung von Hermann Kants »Aufenthalt« eingelegt. 1986 war ich zur Aufführung von »Haus am Fluss« nicht eingeladen. Die Genossen haben mir verübelt, dass ich wenige Monate zuvor nach einem Gastspiel in Salzburg geblieben bin. Meine Kollegin Katrin Saß hat mich damals zur Feier der DEFA mitgenommen. Was ihr prompt verübelt wurde.

Können Sie sich noch an Ihre Hoffnungen und Gefühle in den Wochen vor dem Mauerfall erinnern?
Geschonneck: Ich lebte seit 1978 in Hamburg, die Nachrichten aus der DDR habe ich angespannt verfolgt. Ich erinnere mich an eine ungeheure Anspannung und Nervosität. Man spürte, dass die Kugel rollte, dass es nicht so bleiben kann. Die Ausmaße ahnte keiner, weil niemand sich trotz Gorbatschows Perestroika sicher sein konnte, wie sich die Sowjetunion verhält. Und wie sie SED-Spitze, Stasi und NVA reagieren.

Groth: Ich war in Arbeitsprozesse am Theater verwickelt, habe aber gespürt, es liegt was in der Luft.

Haben Sie ihre Gefühle und Erfahrungen in dem Roman wieder gefunden?
Groth: Eugen Ruge beschreibt sehr präzis die Atmosphäre in der DDR, aber vor allem die Dynamik in Familienkonstellationen, die jeder kennt. In der Bundesrepublik entstanden durch die Fragen der 68er-Generation ähnliche Situationen wie in der DDR der 80er Jahre. Die jungen Leute spürten, so kann es nicht weiter gehen, wir schlagen uns gegenseitig tot oder trennen uns.

Kannten Sie solche ritualisierten Geburtstagsfeiern von Ihrem Vater, dem Schauspieler Erwin Geschonneck?
Geschonneck: Mein Vater war kein großer Feierer. Er besaß viele Orden und hat sie gerne getragen. Das Parteiabzeichen, das sich Bruno Ganz zu Beginn des Films ansteckt, gehörte übrigens Erwin. Er ließ sich aber gerne feiern und bewundern. Er liebte es, auf der Straße mit Erwin angesprochen zu werden. Oder in kleinen Cafés zu sitzen, wo er zum Kaffee und Cognac eine Zigarre rauchte.

Was sprach dafür, sich auf die Geburtstagsfeier zu konzentrieren und mehrere Zeitebenen des Romans, insbesondere die Fortführung in die 2000er, auszulassen?
Geschonneck: Die Konzeption stammt vom außergewöhnlich guten Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase (Solo Sunny, Sommer vorm Balkon, d.A). Ganz verzichten konnten wir nicht, sas damalige Verhalten der Familienmitglieder ist ohne den Aufenthalt in Mexiko und der Sowjetunion kaum zu verstehen. Der Dreh in Mexiko hätte das Budget gesprengt, auf der Ukraine habe ich bestanden. Die Beziehungen zur Sowjetunion haben das Leben in Deutschland lange geprägt.
Groth: Nicht nur für die DDR, für die ganze Welt wird Russland ein wichtiges Land bleiben. Ob man es mag oder nicht.

Sehen Sie sich nach »Die Nachrichten« und »Boxhagener Straße« als Chronist der DDR, Herr Geschonneck?
Geschonneck Überhaupt nicht. Die drei Stoffe haben mich unter den vielen Drehbüchern zu diesem Thema, die ich ansonsten abgelehnt habe, interessiert. Ich mochte den Witz von Alexander Osang oder den Berliner Humor, mit dem in »Boxhagener Platz« die Gegend in Friedrichshain beschrieben wurde, wo ich aufgewachsen bin. Für diesen Film hat Wolfgang Kohlhaase den treffenden und leisen Humor von Eugen Ruge in einer Geschichte verfeinert, die nicht nur Menschen aus der DDR verstehen.

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