Zweifel bleiben

Bandis Erzählungen aus Nordkorea wären eine Sensation, aber ...

  • Friedemann Kluge
  • Lesedauer: 3 Min.

Rein literarische Maßstäbe wird man an diese sieben Erzählungen weniger anlegen können. Das Buch vergleicht sich - etwas vermessen - mit »Archipel GULAG« von Alexander Solschenizyn. Der Verfasser, der sich hinter dem Pseudonym Bandi verbirgt, legt hier regimekritische Erzählungen aus bzw. über Nordkorea vor, wie sie, falls sie wirklich von dort stammen sollten, für ihn nicht ungefährlich wären. Folgt man den Angaben des deutschen Verlages, handelt es sich bei »Bandi« um einen »von der nordkoreanischen Regierung anerkannten Schriftsteller«, der nach einer großen Hungersnot in Nordkorea »ein entschiedener Gegner des nordkoreanischen Regimes« wurde. Indes: Wer dieser / diese Bandi ist (oder sind?), entzieht sich jeder Aufklärungsmöglichkeit - man muss die nordkoreanische Herkunft der Texte einfach glauben. Aber damit fangen die Probleme (die auch im deutschen Vorwort von dem ZDF-Korrespondenten Thomas Reichart eingeräumt werden) bereits an.

Reichart gesteht ein, dass es ungeklärt bleiben muss, »wer Bandi tatsächlich ist, ob er wirklich in Nordkorea lebt oder lebte … Vieles ist vorstellbar, sogar dass Bandi ein Konstrukt ist.« Die Authentizität dieser durchweg düster-freudlosen Prosa ist also keineswegs gewährleistet - im Gegenteil: Wer das Buch aufmerksam liest, stolpert über die eine oder andere Passage, die immerhin einen Zweifel zulässt. So zum Beispiel, wenn der Protagonist in der Erzählung »Die Flucht« eine eindeutig monotheistische Aussage trifft: »Warum hat der Himmel einen so undankbaren Mann wie mich noch nicht bestraft? Hat der Herr über Leben und Tod etwas Besseres zu tun?« Nur zur Erinnerung: In Nordkorea gibt es so gut wie keine Christen. In Südkorea dagegen bekennt sich fast ein Drittel zum christlichen Glauben: »Herr über Leben und Tod« - das ist aber eine christlich-protestantische Bestattungsformel. Nehmen wir zugunsten des obskuren Verfassers aber mal an, dass diese Wendung im koreanischen Original anders lautet und hier möglicherweise auf das Konto des Übersetzers geht.

Noch »verdächtiger« erscheint mir aber ein Passus in der Erzählung »So nah und doch so fern«. Die Hauptperson hat sich ohne die erforderliche Reiseerlaubnis mit dem Zug auf den Weg gemacht, die sterbenskranke Mutter zu besuchen. Der Zug ist voll besetzt. Als ein Kontrolleur sich vernehmen lässt, gleitet Myeong-Cheol rasch unter seinen Sitz, wo er sich erfolgreich versteckt hält, bis die Kontrolle vorüber ist. Aber - Moment mal! - wir befinden uns doch angeblich in einem brutal-totalitären System, in dem jeder jeden bespitzelt, und das Buch trägt ja auch den Titel »Denunziation«. Und in diesem voll besetzten Zug kann der Mann einfach mal so unter seinem Sitz verschwinden, ohne dass ihn jemand von den Mitreisenden verrät? Hier wird dem Leser doch etwas reichlich guter - oder eher: schlechter - Glaube zugemutet! Auch der das Buch abschließende Aufruf zum »Ende des Kommunismus« und zur Wiedervereinigung der beiden Teile Koreas» gehört eher in eine Propagandaschrift als in ein literarisches Werk.

In allen Geschichten geht es, kurz gesagt, um die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen in einem totalitären System, Unterdrückung und Misstrauen, das nicht selten quer durch die Familien geht. Es spielt dabei dann auch eigentlich gar keine Rolle, ob die Erzählungen auf Tatsachen beruhen oder nicht: Es sind schreckliche Geschichten! Der Stil dieser Prosa wirkt durchweg etwas betulich, aber das ist ja ein bekanntes Phänomen der meisten Werke, die aus ostasiatischen Sprachen übersetzt wurden.

Bandi: Denunziation. Erzählungen aus Nordkorea. Aus dem Koreanischen von von Ki-Hyang Lee. Nachwort Thomas Reichart. Piper, 220 S., geb., 20 €.

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