»Ich bin die Frau Picasso«
Drastik und Feminismus: Das bewegte Leben der Malerin Maria Lassnig
Im Jahr 1985 faszinierte mich ein im »Spiegel« reproduziertes pop-art-iges Gemälde: »Mit einem Tiger schlafen«. Mir war sofort klar, dass das Bild nur von einer Malerin stammen konnte. Obwohl man die Gesichtszüge der Frau unter dem Tiger gut erkennen konnte, blieb offen, ob es einen Kampf darstellte, Resignation oder einen Wunsch. Das mehrdeutige Bild lud nicht vordergründig zur Identifikation ein. Aber nicht nur deshalb war es hohe Kunst, sondern auch, weil selbst die simple schwarz-weiße Reproduktion erahnen ließ, dass hier meisterlich gemalt worden war - in der Pop Art eher unüblich.
Offenbar stellte das von der 1919 in Kärnten geborenen Maria Lassnig stammende Bild das Glanzstück einer Ausstellung von 80 Malerinnen im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts dar. Die Tonlage des Berichterstatters Jürgen Hohmeyer kann man sich herablassender nicht vorstellen. Die als »Schau-Getto« bezeichnete Ausstellung beweise schon durch ihre Existenz, dass die Emanzipation der Frau in der Kunst noch nicht vollendet sei. Wohl wahr. Aber schuld daran war eben gerade die Missachtung, mit der Kunst von Frauen in der westlichen Zivilisation immer noch konfrontiert war. Vom epochalen patriarchalen »Kunstfaschismus« sang Lassing in dem 1992 gedrehten Animationsfilm »Maria Lassnig Kantate«, in dem sie als gleichermaßen unbeholfen wie durchtrieben wirkende österreichische Provinzlerin von ihrem Leben und Schaffen berichtete, das zu großen Teilen in Paris und New York stattgefunden hatte. Jetzt, drei Jahre nach Lassnigs Tod, legt die Kultur- und Kunstwissenschaftlerin Natalie Lettner die erste umfassende, mit Fotos und vielen guten Reproduktionen ausgestattete Biographie der Künstlerin vor.
Ihre Ausbildung hatte Lassnig in den letzten Kriegsjahren an der Wiener Kunstakademie erhalten, wo man einen zwar an alten Meistern geschulten, aber dem Nazigeschmack entsprechenden Naturalismus pflegte, von dem sich Lassnig künstlerisch bald geknebelt fühlte. Von der Kenntnis der vorfaschistischen Moderne gänzlich abgeschnitten, schulte sie sich schon damals an Beispielen des Kärntener Kolorismus, die sie ermutigten, mit dem Eigenwert und der Umwertung der Farben zu experimentieren. Nach dem Krieg nahm sie an der die westeuropäische Kunstjugend erfassenden nachholenden Rezeption der Moderne teil und malte surrealistisch und »abstrakt«, dabei immer malerisch anspruchsvoll und - ihrem Selbstverständnis nach - nie gegenstandslos.
Sowohl ihre »Strichbilder« als auch ihre »Knödelbilder« stellten eigene »Körpergefühle« dar, die zu erfassen und - später auch in anderen Stilen - bildlich umzusetzen lebenslang das eigentliche Hauptanliegen Lassnigs bleiben sollte. Es konnte im Nachhinein feministisch interpretiert werden, denn sie arbeitete sich damit an ihrem schwierigen Frauenschicksal ab. Unehelich geboren, lebte sie die ersten sechs Jahre bei der als dörfliche Magd schuftenden Großmutter, die kaum Zärtlichkeit und Zeit für ihre Erziehung aufbringen konnte. Zwischen ihr und der Mutter, die sie nach einer Eheschließung zu sich nahm, kam es trotz beiderseitigem lebenslangem Bemühen nie zu einer wirklich innigen Beziehung.
Weil ihr keine glücklichen Familienverhältnisse vorgelebt wurden, aber auch, weil sie schon als ganz junge Malerin meinte, dass Liebesbeziehungen sowohl ihr selbst als auch ihrer Kunst schadeten, ließ sie dauerhafte intensive Beziehungen, nach denen sie sich eigentlich sehnte, niemals wirklich zu. Die Verletzungen, die sie durch die Zurücksetzung gegenüber männlichen Malerkollegen im Nachkriegsösterreich und in Paris erlebte, wohin sie 1961 übersiedelte, führten dazu, dass man sie als leicht eifersüchtig werdende, schwierige Person wahrnahm.
Schon in Paris begann sie, sich an der aus den USA strahlenden Pop Art zu inspirieren, ohne allerdings deren Konsumfetischismus zu übernehmen. Sie ging wieder zum deutlich Figurativen über und stellte weiter meist die schwierigen Beziehungen zwischen den Geschlechtern und vor allem auch zwischen Mutter und Kind dar, deren oft skurrile Symbolik leicht und doch mehrdeutig erschließbar ist. Sie selbst bezeichnet viele ihrer populärsten Bilder - auch das von mir bis heute geschätzte Tigerbild - als ihre schlechtesten. Ihre besten, meinte sie, seien die abstrakteren Bilder, in denen sie versuchte, ihrem »Körpergefühl« Ausdruck zu geben, ein letztlich unerfüllbares Ziel. Sie war sich darüber im Klaren, dass sich Körpergefühle unablässig ändern.
Angesichts der Kraft, mit der sich Lassnig immer wieder aus widrigsten Verhältnissen herausarbeitete, wundert es nicht, dass sie sich vom amerikanischen Feminismus angezogen fühlte, der die starke und widerständig kreative Frau propagierte. 1968 flieht sie aus dem aufständischen Paris, dessen revolutionäre Antriebe ihr unverständlich sind und lässt sich in New York nieder. Hier findet sie tatsächlich ein ihr eher entsprechendes Umfeld von Menschen und Künstlern und insbesondere durch ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Woman Artist Filmmakers auch echte Kollegialität - unter Frauen.
Erfolge mit ihren damals begonnen Arbeiten als Animationsfilmemacherin gingen der schließlich doch noch erfolgenden breiten Anerkennung als Malerin voraus. Ende der siebziger Jahre begann man sich dann auch in Österreich für Lassnig zu interessieren. 1980 trat sie eine Professur an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst an, die sie - erstmals im Leben - finanzieller Sorgen enthob. Es folgten große repräsentative Ausstellungen und internationale Ehrungen.
»Ich bin die Frau Picasso!«, hat Maria Lassnig einmal trotzig verkündet, um ihre - nach eigener Meinung - unterschätzte Bedeutung in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts anzumerken. Das klingt wenig logisch, denn Picasso wandte sich ganz entspannt Objekten zu, während sich ihre Kunst vor allem aus angespannter seelischer Introspektion nährte, die sich geistig auf eine philosophische Linie zwischen Sigmund Freud und Ernst Machs Theorien der Eigenwahrnehmung zu stützen suchte.
Aber diese gegensätzlichen Haltungen sind aus der polaren Position der Geschlechter in der Kunst des 20. Jahrhunderts begreifbar. Sie entsprang der patriarchalen Tradition, dass sich männliche Künstler der Außenwelt bemächtigten, während Frauen erst einmal ihre Identität hinterfragten. Den Schritt, Identität im souveränen Wechselspiel mit der äußeren Welt zu erwerben, konnte Maria Lassnig wohl aufgrund ihrer frühen Lebenserfahrungen und den zunächst noch ganz patriarchal ausgerichteten Kunstmarkt nicht gehen.
Auch wenn Frauen anderer Kulturen ihr Werk deshalb weniger zugänglich erscheint, ist auf alle Fälle festzuhalten, dass es äußerst sensibel und radikal die Vorgeschichte, Geschichte und die Grenzen des westlichen Feminismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts repräsentiert. Weil sie sich Kunst nur »ehrlich« vorstellen mochte, fügte Maria Lassnigs Malerei Individuell-Weibliches, Lokal-Authentisches und Global-Universelles so genau zusammen, dass die Historizität ihrer Anliegen erkennbar ist - ein großer, wenn vielleicht auch nicht gewollter Vorzug ihres Werks.
Natalie Lettner: Maria Lassnig. Die Biografie, Brandstätter Verlag, 400 S., geb., 29,90 €
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