Ehren- oder Unehrenpension?
Christian Wulff löst wieder einmal unfreiwillig eine moralisch verfremdete Debatte aus
Christian Wulff erhält wie alle ehemaligen Bundespräsidenten eine Ehrenpension. Ins Gerede ist er nun damit gekommen, dass er bei einer türkischen Modefirma als Prokurist arbeitet. Die Einnahmen aus diesem Job kommen zu jenen als Altbundespräsident hinzu, die 236 000 Euro jährlich betragen. Die Höhe seines Prokuristengehalts hält Wulff geheim, das kann man ihm kaum vorwerfen. Überhaupt macht sich der CDU-Politiker, der außer Staatsoberhaupt auch Ministerpräsident von Niedersachsen war, keines erkennbaren Vergehens schuldig. Auch die Vorwürfe, die nun auf ihn herabprasseln, betreffen nur die moralische Dimension des Vorgangs. Wie schon die Affäre, die 2012 in seinem Rücktritt nach nur 20 Monaten Amtszeit als Bundespräsident endete, vor allem von Wulffs Unfähigkeit zeugte, den mit dem Amt verbundenen Ansprüchen eines untadeligen moralischen Verhaltens gerecht zu werden. Grenzwertiger Umgang mit Privilegien und eine unbarmherzige Presse erschütterten seine Integrität - auch wenn ein Gericht ihn 2014 von allen Vorwürfen der Vorteilsnahme freisprach.
Viel gelernt hat er daraus offensichtlich nicht, aber das steht auf einem anderen Blatt. Nachvollziehbar indes ist es, dass Wulff sich mit seinen 58 Jahren noch nicht zum alten Eisen zählen will und eine neue berufliche Perspektive gesucht und offenbar gefunden hat. Deshalb klingt auch der Vorwurf wohlfeil, den etwa SPD-Vize Ralf Stegner erhebt, dass der lebenslange Ehrensold schließlich gewährt werde, »damit ehemalige Staatsoberhäupter nicht gezwungen sind, sich etwas dazu verdienen zu müssen«. Was ist, wenn sie es ausdrücklich wollen?
Schon eher ist die Frage zu stellen, ob die Ehrenpension selbst eine vernünftige Einrichtung ist und ob diese zu modifizieren wäre - eine Aufgabe für den Gesetzgeber. Zweifellos ist sie Zeugnis vergangener Zeiten, als Bundespräsidenten mit diesem Amt ihre politische Karriere krönten, sie damit aber gleichzeitig beendeten. Junge Männer wurden nicht Präsidenten, also auch nicht pensionierte Präsidenten. Von jungen Frauen ganz zu schweigen, eine Frau war noch nie Staatsoberhaupt.
Eine Gesetzesinitiative kündigte bereits Sahra Wagenknecht für die LINKE im Bundestag an. Dass private Einkünfte von Altpräsidenten künftig auf ihre Pension angerechnet werden sollten, das meint die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Ähnlich argumentierte der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Gegenüber der »Passauer Neuen Presse« nannte er die Ehrenpension überdies ein überholtes, nicht zu rechtfertigendes Privileg. Kein anderer staatlicher Amtsträger behielte nach dem Amt seine vollen Bezüge. Ehemalige Bundespräsidenten sollten nicht besser gestellt sein als Beamte, meinte von Arnim. Wenn diese private Einkünfte erzielten und noch nicht das Ruhestandsalter erreicht hätten, müssten sie diese Einnahmen auf ihre Pension anrechnen lassen.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki scheint in Wulffs Prokuristenjob ein anderes systemisches Problem zu sehen. Nämlich die Tatsache, dass Wulff als Prokurist weisungsgebunden agiere. Dies widerspreche dem »Sinn und Zweck der staatlichen Lebenszeit-Versorgung von ehemaligen Bundespräsidenten«, sagte Kubicki gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Bei einer Gesetzesnovellierung könnte auch der Begriff der Ehrenpension auf seine Sinnhaftigkeit geprüft werden. Anwendung fand er unter anderem im Jahr 2008, als den Ministern der letzten DDR-Regierung, die zugleich Produkt der ersten frei gewählten Volkskammer waren, trotz ihrer geringen Amtszeit von nur fünfeinhalb Monaten pro Monat 650 Euro zusätzlicher Rente zugesprochen wurden. Diese Ehre blieb nicht ohne heftige Kritik von DDR-Opferverbänden, die ihre eigene Klientel, für deren Entschädigungen sie seit Jahren streiten, mit dieser Entscheidung zurückgesetzt sahen.
Und mit jeder Ehrenversorgung kommt eine ähnliche Debatte auf. Immer sind politische Bewertungen die Geburtshelfer solcher Zusprechungen. So ist ein Verrechnen von Rentenansprüchen an anderer Stelle längst üblich. Dies musste ein langjähriger Beamter erfahren, dessen Rente um jene Summe gekürzt wurde, die aufgrund eines Studienabschlusses an der SED-Parteihochschule »Karl Marx« in der DDR erwachsen wäre. Diese Art der Rentenzuweisung könnte man dann wohl als »Unehrenpension« bezeichnen.
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