Popabstraktionen
Mit ihrem dritten Album »Dust« legt es Laurel Halo wieder nicht darauf an, allen zu gefallen
Was ist das? Jazz-Ambient? Das Intro eines anspruchsvollen Berliner Berghain-Club-Sets? Auf den langsamen Beats liegt hartes Metall, jeder Schlag hallt kurz mit leicht dissonanter Pointe nach. Die Streicher, sofern es welche sind, malen keine Atmosphäre, sie verlebendigen den Rhythmus als thematische Taktgeber. Diamond Terrifiers Saxophon - man wird es noch einige Male hören auf Laurel Halos drittem Album »Dust« - hält und durchkreuzt die Spannung mit seinem assoziativen Spiel, aus dem sich rasch mehrere freie Spielformen schälen, die miteinander korrespondieren oder um Aufmerksamkeit konkurrieren.
Aus einem Analogsynthesizer knattert oder tropft dazu eine zuerst tiefere, dann stetig ansteigende kleine Melodie. Ihr Referenzraum liegt irgendwo zwischen Krautelektronik und Acid-Techno aus Detroit.
Alles, was in diesem gerade einmal 1:35 Minuten langen Prelude mit dem nicht sehr nahe liegenden Namen »Arschkriecher« geschieht, passiert beinahe gleichzeitig, doch anstatt den Raum zu überfüllen, scheint es, als sei sogar noch Platz für weitere Geräusche und Formen, Erinnerungsfragmente, Atmosphärensplitter und Andeutungen von Melodien. Zu fassen ist dieses für die Künstlerin durchaus typische, so wenig diesseitige wie jenseitige, paradox konkret irrlichternde Stück definitiv nicht. Aber zu fassen war die Musik, nein, die wundervoll seltsame Musikwelt der aus Ann Arbor (bei Detroit) stammenden Laurel Halo noch nie.
Weil das bis heute so ist, wird es abermals Menschen geben, denen zu ihrem loopverliebten und rhythmisch verstolperten, weniger konzeptionell gestalteten als intuitiv verspielten Ambivalenz-Avantgarde-Pop rein gar nichts einfällt. Außer Kopfschütteln ob der reichhaltigen Unentschiedenheit und konsequenten Ignoranz von allzu deutlichen Stimmungen und eindeutigen Genregrenzen.
Aber das macht ja nix, zumal Laurel Halo es sowieso nicht darauf anlegt, allen zu gefallen. Eher schon genügt ihre Musik sich selbst. Eigenleben genug hat sie ja. Aber stimmt das überhaupt? Der allgemeinplatzartig gebrauchte Begriff »organisch« funktioniert schon mal nicht. Dazu arbeiten die vielgliedrigen Details dieser collagehaften Popabstraktionen zu engagiert für sich, mitunter auch gegeneinander. Selbst die des brasilianisch tänzelnden Beinahe-Popsongs »Moontalk«.
Laurel Halos wissend-sonorer, gleichzeitig verspult-abwesend wirkender Gesang passt jedenfalls perfekt in die immer kunstvoll gestaltete, jedoch nie pathetische Tagtraumlandschaft aus apart verschleppten (Dub-)Rhythmen und hellscharfen Claps, aus Schlieren und Schleifen, halbschrägen Tönen, tiefen Bässen, wärmenden Flächen, rumpelnder und scheppernder Percussion.
Ihre Stücke nennt Laurel Halo, die seit drei Jahren in Berlin lebt, »breezy, broken songs - heavy-hearted and obscure«. Allerlei andere Metaphern zur Beschreibung ihres interessiert offenen Musikkosmos’ wären möglich. Die Künstlerin hätte gewiss nichts dagegen.
Laurel Halo: »Dust« (Hyperdub)
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