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Besetzte Teppichfabrik vor Räumung

Rund 80 Menschen protestierten gegen Räumungsbeschluss in Berlin Friedrichshain

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem Dach der ehemaligen Teppichfabrik in Friedrichshain hängt ein Transparent mit der Aufschrift »Friede den Hütten, Krieg den Palästen«. Eine große schwarze Fahne mit einem weißen A in der Mitte flattert im Wind. Rund 80 Menschen haben sich vor dem alten Industriekomplex auf der Halbinsel Stralau versammelt. Sie haben Plakate mit Aufschriften wie »Teppichfabrik verteidigen« oder »Die Platte bleibt« dabei. Die Demonstranten wollen sich mit der Besetzung des Fabrikgebäudes direkt an den Ringbahngleisen solidarisch zeigen. Bereits seit mehreren Monaten leben dort eigenen Angaben zufolge linke Aktivisten, was aber erst Mitte Juli durch einen Eigentürmerwechsel bekannt wurde. Der hat jetzt die Räumung beantragt.

»Wir wissen nicht genau, was los ist«, sagt ein Anwohner, der sich mit seinen zwei Kindern die Reden anhört. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Dass die ehemaligen Veranstaltungsräumlichkeiten besetzt worden sind, hat er in den Medien erfahren. Wie es dort jetzt weitergehen soll, weiß der Familienvater nicht. »Wir wollen, dass das so bleibt.« Die Kinder jedenfalls sind begeistert von der Kundgebung und laufen um die Transparente herum. Sie klatschen bei jeder Gelegenheit.

Sie sind nicht die einzigen Anwohner, die sich für die Ansammlung vor dem alten Gebäude interessieren. »Dass so viel Polizei eingesetzt wird, finde ich unverständlich«, sagt ein Nachbar. Bevor er seinen Namen nennen kann, wird er von der Polizei vertrieben: Sie besteht darauf, dass die Menschen den Gehweg freigeben und sich zwei Meter weiter nach hinten stellen. Sonst drohten Platzverweise. Ein Demonstrant, der der Anweisung nicht folgen will, wird festgenommen.

Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vertreten. Einsatzkräfte haben das Gelände von Land und zu Wasser abgesichert. Beamte stehen in kleinen Gruppen vor dem Gebäude, das zusätzlich zu einem gewöhnlichen Zaun noch mit einem weiteren Bauzaun umstellt ist. Die Mannschaftswagen sind an den Ecken postiert. Einer steht genau vor dem Eingang zu dem Gelände. Die Straße, die die Teppichfabrik von den neu gebauten Reihenhäusern trennt, ist abgesperrt. Hier wird niemand durchgelassen.

Auf der Promenadenseite kann man passieren. Eine Treppe, die von der Elsenbrücke zum Wasser führt, kann man nicht nur theoretisch, »sondern auch praktisch herunter gehen«, wie einer der Polizisten sagt. Hinein ins Haus kommt man allerdings so gut wie gar nicht. Sechs der Besetzer sind bei der Polizei registriert und dürfen den Räumlichkeiten in der Fabrik betreten. Diese wurden den Aktivisten zufolge zufällig ausgewählt. Die Polizei sei einfach ins Gebäude gegangen, habe einige der Besetzer ausgewählt und gesagt: »Die wohnen jetzt hier«, sagt ein Redner auf der Kundgebung. Nur sie können nach polizeilichen Kontrollen das Gelände betreten.

Richtig dort zu leben ist jedoch nicht einfach. Strom und Wasser wurden abgestellt. Gaskartuschen zum Kochen werden von den Polizeibeamten vor dem Betreten abgenommen. Unterstützer haben die Bewohner in den vergangenen Tagen mit Wasserflaschen versorgt.

Nach Bekanntwerden der Besetzung war diese zunächst geduldet worden. Doch am 7. August erließ das Berliner Landgericht einer Mittlung vom Freitag zufolge eine Einstweilige Verfügung, mit der es die Besetzer aufforderte, das Grundstück zu verlassen. Sollten sie dies nicht tun, kann geräumt werden. Allerdings können die Besetzer Widerspruch gegen die Verfügung einlegen.

Der Eigentümer hatte die Räumung der Immobilie in einem Eilverfahren beantragt. Er habe glaubhaft gemacht, dass sich die Besetzer eigenmächtig Zugang zum Gelände verschafft hätten und sich unberechtigt dort aufhielten, so das Gericht. Ein Gesprächsversuch seitens des Eigentümers sei nicht zustande gekommen.

»Es gibt nicht sonderlich viel zu verhandeln«, kommentierte dies am Freitag Oliver, einer der Bewohner der »Platte«, wie die Aktivisten das Gebäude nennen. Ihnen geht es nicht nur um ein neues Zuhause für sich selbst. Sie wollen mit der Aktion auch ein Zeichen gegen die Gentrifizierung in Berlin setzen. »Die Stadt wird weiter unbezahlbar«, schallt es durch die Boxen des Lautsprecherwagens. Ein Redner beschreibt den Wohnungsmarkt so: »Die Stadt soll denen gehören, die am meisten zahlen.« Dagegen wollen sich die Besetzer und ihre Unterstützer wehren. Aus der Teppichfabrik solle ein soziales Zentrum werden. Die Besetzer sehen sich als Teil einer Bewegung und senden Solidaritätsgrüße nach Leipzig und Tschechien zu anderen aktuellen Besetzungsaktionen. Besetzer und Aktivisten erklären am Abend: »Wir bleiben alle!«

Wer genau hinter der Besetzung steckt, ist unbekannt. Die Polizei rechnet die Gruppe dem linksautonomen Spektrum zu. Vor zwei Wochen waren nach Behördenangaben vor Ort Beamte mit Gegenständen beworfen worden. Seither wird das Gelände von mehreren Hundertschaften Tag und Nacht bewacht.

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