Eiweiß mit Reinigungsjob
Dänische Forscher finden Zusammenhang zwischen dem Biomarker apoE und dem Risiko für eine Demenzerkrankung
Mit einer von mehreren Formen der Demenz mussten schon viele Menschen in den hoch entwickelten Ländern Europas, Nordamerikas und Asiens Bekanntschaft machen, wenn ein Familienmitglied oder ein Freund daran erkrankt. Es tut weh, Menschen zu sehen, deren Persönlichkeit sich zur Unkenntlichkeit verändert hat und so anders geworden ist als die Person, die man von Kindesbeinen an kannte. Alzheimer hat an den Demenzerkrankungen mit rund 65 Prozent den höchsten Anteil und ist deshalb ein Synonym dafür geworden. Trotz intensiver Forschung gibt es noch keine Frühdiagnose oder gar Medikamente gegen Demenz. Nun haben dänische Forscher vielleicht einen leicht testbaren Biomarker gefunden, der in Zukunft sogar eine Behandlung möglich machen könnte.
Eine Forschergruppe unter Leitung von Ruth Frikke-Schmidt untersuchte in einer großangelegten Studie die Blutproben von 106 562 Personen. Die Ärztin leitet eine Krankenhausabteilung für klinische Biochemie und forscht auch an der Kopenhagener Universität. Gegenstand ihres Interesses war das Niveau des Biomarkers apoE. Das Eiweiß ist ein zentrales Molekül im Blut. Es entsteht unter anderem in bestimmten Gehirnzellen. Dort kommt es auch zum Einsatz, und zwar reinigt es das Gehirn von unlöslichen Eiweißbestandteilen, deren Anhäufung zum Absterben von Nervenzellen führt. Durch diese Plaques wird vermutlich der Gedächtnisschwund ausgelöst, der schließlich zur Demenz führt. Die Ablagerungen sind ein unerwünschter Nebeneffekt beim Eiweißabbau und stehen schon seit einigen Jahren unter dem Verdacht, Auslöser für Altersdemenz zu sein. In der Studie fanden die Forscher bei rund 500 Personen der Untersuchungsgruppe ein um 13 Prozent geringeres Niveau an apoE im Blut. Diese Probanden befinden sich in der Risikogruppe, Durchblutungsstörungen im Gehirn zu bekommen und schließlich an Demenz zu erkranken. Da dies ein Prozess ist, der sich über viele Jahre hinzieht, sind insbesondere Personen über 60 Jahren betroffen. Aus diesem Grund sind Demenzkrankheiten vor allem in Ländern mit einem hohen Bevölkerungsanteil von Personen über 60 Jahren verbreitet.
Der durch die dänischen Forscher nachgewiesene statistische Zusammenhang zwischen niedrigerem apoE-Niveau im Blut und dem Risiko von Durchblutungsstörungen im Gehirn könnte den Weg weisen für die Entwicklung von Medikamenten. Sollte sich der Verdacht erhärten, mittels eines relativ einfachen Bluttests die Risikogruppe für künftige Demenzkranke einzuengen, wäre die Entwicklung eines Präparates, das dem Abbau des apoE-Biomarkers entgegenwirkt, der nächste logische Schritt. Dazu bedarf es aber weiterer Studien. Eine Aussage, wann ein entsprechender Wirkstoff zur Verfügung steht, ist noch nicht möglich.
Der Weg, über Biomarker Behandlungsmethoden und pharmazeutische Wirkstoffe zu entwickeln, wird erst seit einigen Jahren erprobt. Vor-aussetzung dafür war die Entwicklung von Methoden, mit denen einzelne Bausteine der DNA untersuchen werden können. Forschungsinstitute wie Pharmaindustrie investieren große Summen, um das neue Wissen in Therapien umzusetzen.
Die Anzahl der Demenzkranken wird weltweit auf gegenwärtig rund 48 Millionen Menschen geschätzt. Davon leben allein in Deutschland etwa 1,5 Millionen Personen, während in Dänemark etwa 87 000 Fälle registriert sind. Das Niveau von apoE ist genetisch bedingt, so dass etwa Ernährungsgewohnheiten, ein aktiver oder passiver Lebensstil keinen Einfluss auf das Risiko haben, im Zusammenhang mit dem beschriebenen Mechanismus eine Demenz zu entwickeln. Bereits im Frühjahr dieses Jahres konnte die Gruppe um Frikke-Schmidt eine frühere Hypothese zurückweisen. Demnach ist Untergewicht im Alter doch kein Risikofaktor für Demenz. Eher ist das Verhältnis umgekehrt. Die Forscher vermuten, dass Menschen im frühen Alzheimer-Stadium weniger Appetit haben und deshalb Gewicht verlieren.
Weltweit steigt die Zahl der Demenzpatienten jährlich um mehrere Millionen, so dass Früherkennung und -behandlung viel Leid und den Gesundheits- und Sozialsystemen immense Kosten ersparen würden. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft schätzt, dass sich bis 2060 die Zahl der Demenzkranken in Deutschland auf 2,88 Millionen erhöhen wird, von heute 1,5 Prozent auf 3,8 Prozent der Bevölkerung.
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