Wunderschöne Albträume

Die Horrornächte auf ZDFneo

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Mensch neigt, vermutlich schon seit er sprechen kann, in Entertainmentfragen zu einer Art freiwilliger Schizophrenie: Einerseits löst das Unbekannte, Unheimliche, Unerklärliche Fluchtinstinkte aus. Andererseits hat der Homo Sapiens wohl schon immer Geschichten erzählt, die Ängste ganz bewusst fördern. Was den Sog des Abstoßenden betrifft, ist die Popkultur wohl so alt wie das Lagerfeuer - nur fehlten ihr lange Zeit die Mittel, das Ganze übers blanke Wort hinaus angemessen zu inszenieren.

Doch als mit den Bildern auch die Furcht laufen lernte, begannen sich visuelle Medien mit dem zu füllen, was erst »Grusel-«, dann »Horror-«, bald »Splatter-«, jetzt »Torture Porn« genannt wurde: Fiktionen unserer schlimmsten Albträume. Ein paar davon zeigt ZDFneo und lässt uns damit vier Samstage lang mal mehr, mal weniger das Blut in den Adern gefrieren.

Den Auftakt bildeten vergangenen Samstag zwei Deutschland-Premieren aus Dänemark und England. Erst variierte Bo Mikkelsons klaustrophobisches Seuchen-Szenario »What We Become« von 2015 das populäre Zombie-Thema mit Opfern eines Erregers, der einer beschaulichen Vorstadtsiedlung die Hölle heiß macht. Danach bekam es ein voll besetzter Zug in »Howl« mit haarigen Monstern zu tun. Zum Schluss stiegen sechs Höhlenforscherinnen in den »Abgrund des Grauens«, wo sie peu à peu von nackten Untergrundkreaturen dezimiert wurden. Alles echt krass.

Doch wenn nächste Woche Zombies (»Shaun of the Dead«), Sadisten (»Saw«), Serienkiller (»Chained«) wüten oder im Finale am 9. September fiese Killerpuppen (»Dead Silence«) auftreten, geht es der Redaktion nicht nur um maximales Grauen. Im Fokus steht die Vielfalt eines Genres, das bis heute notorisch unterschätzt wird.

Sicher, im B-Movie sind hungrige Mutanten oder maskierte Killer selten mit soziokultureller Reflexion befasst. Aber bereits vor 107 Jahren kritisierte Mary Shellys »Frankenstein« die Folgen der Moderne ebenso, wie es 1955 Jack Arnolds Riesenspinne »Tarantula« tat oder bald darauf der jüngst verstorbene George A. Romero mit seinen Zombies als Täter und Opfer der Zivilisation in Personalunion. Horrorfans mag es dabei auch um gefahrlosen Thrill gehen, für den sie sich naturgemäß lieber vor den Fernseher setzen als in einen dunklen Wald voller Wölfe. Zugleich jedoch dürfte nur ein Teil der weltweit Abermillionen Zuschauer von »The Walking Dead« zur kleinen Gruppe jener Nerds zählen, denen kein Zombie krass genug glibbern kann. Erst die Tatsache, dass es vom stumpfen Gemetzel bis zur tiefgründigen Suspense, von der ultrabrutalen Allmachtsfantasie »Hostel« bis zur verstörenden Alltagsallegorie »Room 104« auch um die Frage der Abgründe unserer Zivilisation geht, hat den Horror aus dem Bahnhofskino in den Mainstream geholt. Die Dämonen am Bildschirm, das zeigte sich zuletzt erst in der fabelhaften Achtzigerzeitreise »Stranger Things« auf Netflix, sind eben doch allzu oft die Dämonen in uns selbst - oder zumindest in der Welt ringsum. Horrorfilme dienen daher regelmäßig der Spiegelung menschlichen, also unseres - Verhaltens. Im Guten wie im Bösen. So wenig, wie man sich mit Vorträgen zu Nachhaltigkeit, Konsumwahn oder Ungleichheit gern den sorglosen Alltag madig machen lässt, so wenig will man sich zur Entdeckung innerer Schweinehunde auf die Couch eines Psychiaters setzen. Da ist ein kluger Zombiefilm mit monströsen Platzhaltern unserer Selbstzerstörungskraft viel angenehmer. Und meistens unterhaltsamer.

26. August, 2. und 9. September; www.zdf.de/sender/zdfneo

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